Das Gift der Drachen Drachen3
sie ihn schlagen. Er schrie ihr gereizt etwas zu, wandte sich schließlich jedoch ab. Sie spie hinter ihm auf den Boden.
Dann sah sie mich mit einer Miene an, aus der ganz unmissverständlich blanke Wut sprach.
Wir setzten unseren Weg durch den Dschungel fort. Jadeauge ging voraus. Bei Anbruch des Abends erreichten wir ihr Lager.
Mehrere Hütten standen zwischen den dicken Stämmen gewaltiger Baumriesen. Einige der Hütten waren aus Bambus, andere aus Tierhäuten gefertigt. Ihre Schlichtheit deutete an, dass sie nicht auf Dauer ausgerichtet, sondern für ein Nomadenleben gedacht waren.
In einer Feuergrube loderte Glut. Davor hockte eine ungeheuer fette Frau, deren gewaltige Brüste unter goldenen Halsketten verschwanden. Ich glotzte sie an. Noch nie zuvor hatte ich so viel Gold an einer Person gesehen. Über ihren gewaltigen, fleischigen Schultern hing ein Umhang aus feinstem Leder, der von einer silbernen Schnalle zusammengehalten wurde.
Eine Gruppe großer, schlanker Fleckbäuche drängte sich um mich und die Drachen. Sämtliche Frauen, bis auf die ganz jungen Mädchen, hatten lange Haare. Die Männer waren bis hin zu den kleinsten Burschen ausnahmslos kahlköpfig. Langbein sprach in dem allgemeinen Tumult mit der fetten Frau, die offenbar einen gewissen Rang einnahm. Vielleicht war sie ein Medizinweib oder die Älteste des Stammes. Oder eine Kombination aus beidem. Eine Matriarchin, die Stammesmutter.
Jemand stieß mich vorwärts. Der Blick der Matriarchin glitt über mich, während sie redete. Ihre dicken Lippen machten ihre Worte undeutlich. In der Feuergrube zwischen uns knackte und zischte die Glut.
Langbein antwortete, deutete auf meine Escoas. Die Drachen, bedrängt von so vielen Menschen, traten unbehaglich von einem Bein aufs andere und verdrehten die Augen, und der heilende Brei löste sich in kleinen Brocken von ihren Schnauzen. Die Matriarchin winkte mich zu sich.
Ein Meer von Händen schob mich auf sie zu. Langbein zog mich vor den Füßen der Matriarchin auf die Knie. Der Boden unter meinen Kniescheiben fühlte sich kühl an.
Die Matriarchin trug keinen Lendenschurz. Der Duft, der zwischen ihren Schenkeln hervordrang, roch überwältigend nach Moschus. Sie beugte sich vor, und ihre goldenen Halsketten – es mussten mindestens vierzig sein; ich staunte, dass sie von dem Gewicht nicht heruntergezogen wurde – stießen leise aneinander. Mit rußigen Fingern packte sie mein Kinn und betrachtete mein Gesicht. Dann blaffte sie Langbein etwas zu. Ein Stück Holzkohle wurde mit einer Speerspitze aus der Feuergrube gehoben und auf ihr balancierend zu uns gebracht. Ich keuchte und versuchte auszuweichen. Der Griff der Matriarchin war erbarmungslos.
Sie studierte meine Augen im Licht der Glut.
Sie sah in meine, ich in ihre, und wir tauschten ein dunkles, mächtiges Wissen aus. Sie wusste um den bestialischen Ritus; sie hatte ihn häufig vollzogen und sie wusste ebenfalls, dass auch ich ihn mehr als einmal vollzogen hatte. Denn … wir hatten dieselben Augen. Unsere Iriden waren von weißen Flecken durchsetzt, als wären winzige Sterne dort eingebettet. Unsere Augäpfel waren nicht weiß, sondern rot marmoriert, mit blutigen Rinnsalen, den Kanälen des Giftes.
Sie ließ mein Kinn los und murmelte etwas. Ein Stimmengewirr brach um mich herum los. Langbein schrie etwas, riss den Speer in die Luft und sah sich um. Ein Ausdruck der Herausforderung lag auf ihren falkenähnlichen Zügen. Schlagartig kehrte Stille ein. Die Matriarchin ergriff das Wort. Wieder murmelten die anderen, wurden lauter, da ihre Stimmen vor Erwartung und Aufregung anstiegen.
Langbein riss mich hoch, das Kinn triumphierend vorgestreckt. Sie hielt meinen Arm fest gepackt. Die Menge zerstreute sich hastig, meine Escoas wurden weggeführt.
Dann sagte Langbein etwas und schüttelte wütend meinen Arm. Ich sah zu ihr hoch – sie war ja so viel größer als ich – und begriff, dass sie mir eine Frage gestellt hatte.
»Ich verstehe nicht«, erklärte ich erneut.
Arrogant wiederholte sie einfach nur ihre Worte, während ihre Augen voller Stolz glühten. Ich hasste ihre überhebliche Miene.
Meine Furcht schlug plötzlich in Wut um. Ich riss meinen Arm aus ihrem Griff und deutete mit einem Finger auf meine Escoas, die hinter eine Bambushütte geführt wurden. »Das sind meine Drachen! Gebt sie mir zurück, sofort!«
Langbein grinste wölfisch. Sie sagte erneut etwas, legte ihre gespreizte Hand über meine Brüste und drückte
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