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Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
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blieb die Nummer für den Rest des Sommers, verschmiert, aber lesbar. Rex hat mir inzwischen erzählt, dass er die Minuten zwischen meinem Weggehen und seiner Verhaftung genutzt hat, um sie wegzuwischen.
    » So. Jetzt kann nicht mal ich sie noch verlieren. Ich bringe dich zur U-Bahn.«
    Zwischen Bibas Haustür und dem Eingang zur U-Bahn-Station Highgate waren nur ungefähr zwanzig Häuser, aber es gelang ihr trotzdem, mich in ein Café zu bugsieren, bevor mir klar wurde, dass wir einen Umweg gemacht hatten. Irgendwie hatte sie mich dazu gebracht, die Archway Road zu überqueren, ohne es zu merken. Sie bestellte zwei Kaffee. Wir tranken sie aus Styroporbechern und saßen dabei vorsichtig balancierend auf wackligen Aluminiumstühlen mit der Patina des Londoner Smogs. Dem Café direkt gegenüber lag noch ein Café, ein Pub namens The Woodman, eine Bushaltestelle und der U-Bahn-Eingang Archway Road. So bot sich eine perfekte Gelegenheit, um Leute zu beobachten.
    » Siehst du das Paar auf der anderen Seite?« Biba zeigte auf einen Mann mittleren Alters und eine Frau, die an der Bushaltestelle standen. Sie küssten sich so leidenschaftlich wie zwei Teenager. Er hatte die Hände in ihr graues Haar geschoben, und ihre Tasche lag aufgeklappt zu ihren Füßen. Die öffentliche Demonstration ihrer Zärtlichkeit passte nicht zu den geschmackvollen, gedämpften Herbstfarben ihrer Kleidung. » Wie lange, glaubst du, sind die beiden schon zusammen?«
    » Die sind noch ganz frisch«, sagte ich. » Das ist nicht normal in ihrem Alter.«
    » Die haben ein Verhältnis«, folgerte sie.
    » Aber sehr diskret sind sie nicht, wenn sie hier an der Bushaltestelle knutschen.«
    » Die sind nicht von hier«, befand sie mit Entschiedenheit, als das Paar Hand in Hand und im Laufschritt drei Verkehrsspuren überquerte und ein paar Häuser weiter in einem Café verschwand. » Sie kommen nur hier herauf, weil sie in dieser Gegend niemanden kennen.«
    Manche Leute sagen: » Oh, ich kann stundenlang in einem Café sitzen und zusehen, wie die Welt vorbeizieht«, aber das meinen sie nicht ernst. Meistens haben sie ein Buch dabei, eine Zeitung auf dem Schoß oder– heutzutage– ein Mobiltelefon in der Hand. Aber Biba war wie ich: Sie konnte mit Vergnügen ganze Tage damit zubringen, Leute zu beobachten. Ich war noch nie jemandem begegnet, der meine Begeisterung für die Position einer Zuschauerin teilte, aber in ihrer Fähigkeit zu fantasievollen Schlussfolgerungen ließ sie mich weit hinter sich. Nur Simon waren meine voyeuristischen Neigungen schon aufgefallen, aber er hatte lediglich bemerkt, wenn ich auf eine anständige Schule gegangen wäre, hätte man mir schon als Kind beigebracht, dass es unhöflich sei, Leute anzustarren. Jetzt sei es vermutlich zu spät dafür. Claire, Emma und Sarah hatten es nicht nötig, Leute zu beobachten. Sie waren zu allen Zeiten unzertrennlich, waren noch nie ohneeinander irgendwo hingegangen und verbrachten ihre Zeit mit gegenseitiger Zuwendung in einem endlosen Dreieck des reflektierten Interesses und der Bestätigung. Meinen Eltern war es wohl aufgefallen, dass ich gern in Cafés herumsaß, aber sie hatten darin eine merkwürdige kontinentaleuropäische Gewohnheit gesehen, genau wie in meiner Vorliebe für Wasser aus Flaschen. Sie sahen es mir nach und trafen sich immer mit mir in Coffeeshops, aber sie hatten nie wirklich verstanden, weshalb ich lieber Fremde observierte, wenn doch zu Hause ein tadelloser Fernsehapparat stand.
    Natürlich hatten Biba und ich etwas unterschiedliche Beweggründe. Meine waren eher anlagebedingt als beabsichtigt. Wenn man jemand ist, den andere Leute gern übersehen, wird man auf ganz natürliche Weise zum Zuschauer. Diese Neigung war dadurch verstärkt worden, dass ich meine Zelte in den letzten paar Jahren immer wieder in fremden Ländern aufgeschlagen hatte, wo ich niemanden kannte. Ich hatte mich auf Flughäfen und in unbekannten Korridoren aufgehalten. Es ist ja nicht nur ein ausgezeichneter Zeitvertreib, sondern es hilft einem auch, sich die Redeweisen und Gesten anzueignen, die den Unterschied zwischen einer Sprachenschülerin und einer Muttersprachlerin ausmachen.
    Auch Biba beobachtete die Leute unter dem Gesichtspunkt der Imitation: Ihr Verlangen danach, eine bessere Schauspielerin zu werden, lag bei allem, was sie tat, nicht sehr tief unter der Oberfläche, und Passanten waren potenzielle Fallstudien für zukünftige Rollen. Oft hörte ich, wie sie im Flüsterton Sätze

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