Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)
zu erleben. Ich war so erpicht darauf, dass Mum und Dad gute Plätze kriegten, dass sie ab mittags da auf der Bank sitzen mussten. Das Stück fing erst um zwei Uhr an. Und als ich dann auftrat… änderte sich alles.«
» Inwiefern?«, fragte ich und stellte mir vor, wie ihre Eltern spontan in Flammen aufgingen oder ein Kleinflugzeug auf die Bank stürzte.
» Ich stellte fest, dass ich Schauspielerin war.« Es hörte sich an, als erzähle sie mir von dem Tag, an dem der Arzt ihr gesagt hatte, sie habe Krebs. Mein spielerischer Klaps verfehlte sie um eine Handbreite. » Es wäre ein Superplatz zum Ficken, hier draußen. Ich habe darüber mit Rex eine Wette abgeschlossen. Wir haben gesagt, wer es hier draußen als Erster treibt, kriegt ein Essen im Restaurant seiner Wahl.« Ihre Worte beschworen einen Unbehagen weckenden Film herauf, in dem die beiden sich herumwälzten wie Ringkämpfer auf der Matte. Ich versuchte, mein geistiges Auge vor dem Bild der ringenden Geschwister zu verschließen, aber davon wurde alles nur noch freizügiger und unschicklicher. Eine lebhafte Röte kroch an meiner Brust und meinen Wangen herauf wie Efeu, und ich war froh, dass es dunkel war.
» Wer hat gewonnen?«, fragte ich.
» Noch niemand.« Sie zog die Nase kraus, als sei sie darüber verwundert. Dann zündete sie den Joint an, nahm einen tiefen Zug und streckte sich neben mir aus. So lagen wir da und badeten schweigend im Mondlicht. Die Hitze ihres Körpers wärmte meine linke Seite, und als sie mir den Joint reichte, berührten sich unsere Finger. Ich hustete schon, bevor ich ihn an die Lippen geführt hatte.
» Wenn du es nicht gewohnt bist, lass es langsam angehen.«
» Wer sagt, dass ich es nicht gewohnt bin? Weißt du, ob ich nicht schon seit einer Ewigkeit auf Crack bin?«
» Bist du aber nicht, oder?«
» Nein«, gab ich zu. Ihr Blick hielt mich fest und ließ mich in der Zeit schweben. Ich unterbrach den Augenkontakt und konzentrierte mich auf die Glut zwischen meinen Fingern. Ich inhalierte tief und füllte meine Lunge mit einem Rauch, so kräftig und schwer wie ein Rotwein. Ich atmete aus, die Sterne funkelten härter, und ich stieß einen Jauchzer der Begeisterung aus, der sich in ein unbezähmbares, ansteckendes Lachen verwandelte. Tränen hingen an Bibas Wimpern, und sie zog die Knie an die Brust und wiegte sich in lautlosem Kichern vor und zurück. Eine fließende, bekiffte Lust durchflutete meinen Körper. Ich wollte ganz über sie hinwegkriechen. Ich wollte ihr näher sein als ihr Make-up. Ein hämmernder Puls pochte zwischen meinen Beinen, und mein Herz klopfte nicht mehr, sondern vibrierte. Ich rollte auf die Seite, und es war das unbeholfene und berauschte Vorspiel zu einem Kuss. Ein rauschendes Schwindelgefühl lähmte mich, mein Schwerpunkt schwang plötzlich und heftig nach vorn, ich kippte mit dem Gesicht voran auf den Boden und wusste nichts mehr.
Als ich zwei Stunden später wachgerüttelt wurde, hatte sich eine Wolke vor den Mond geschoben, und Rex stand über uns mit einer Taschenlampe und einem enttäuschten Gesicht. Wir folgten seinem Lichtstrahl auf einem Umweg nach Hause– auf einem ebenen Kiesweg diesmal, der wenige Überraschungen barg und geradewegs zu dem Sofa führte, auf dem er mir ein Bett zurechtgemacht hatte. Als ich mich zum zweiten Mal in dieser Nacht dem Schlaf überließ, war ich bereits dankbar und empfand eine Erleichterung, so überwältigend wie ein Orgasmus, weil mein Versuch, diese Freundschaft zu vollziehen, gescheitert war, auch wenn ich nicht wusste, was mir da so glücklich erspart geblieben war: eine Zurückweisung oder eine Erwiderung.
Erst Jahre später wurde mir klar, dass es nicht um Sex gegangen war, sondern um Zuneigung und Verwirrung, das Kribbeln der endlich empfundenen Peer-Akzeptanz. Es war das Verlangen, etwas mitzuteilen, das ich in keiner Sprache ausdrücken konnte. Aber woher sollte ich das damals wissen? Ich wusste nichts über Verlangen. Das sollte erst noch kommen; die Nacht, in der Rex alles veränderte, war noch Wochen entfernt. Er vollendete etwas, das in jener Nacht angefangen hatte, als ich mit meiner besten Freundin in einem Planschbecken mitten in der Geschichte gelegen hatte, in einer Pfütze aus Mondlicht, ganz benommen vor Liebe.
NEUN
H eute ist ein trockener und sonniger Tag; also fahre ich mit dem Rad einkaufen. Normalerweise halte ich mich auf dieser Strecke zurück– nicht, weil sie besonders gefährlich ist, sondern weil Alice hinter mir
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