Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition)

Titel: Das Gift des Sommers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
Vom Netzwerk:
nach Sauberkeit und Gesundheit und dem doppelten Luxus von Geld und Freizeit.
    Weil kein Tennispartner zur Verfügung stand, ging ich ins Fitnessstudio. Auf dem Ergometer fing ich an und arbeitete mich dann an allen Kraftgeräten ab, die ich bedienen konnte. Ich wusste, dass ich am nächsten Tag mit einem schmerzhaften Muskelkater würde bezahlen müssen, aber das war mir egal. Man sollte meinen, dass ein Work-out nach so langer Zeit ohne jedes Training eine Strapaze wäre, aber ich hatte das Gefühl, dass die Energie von Wochen in meinen Muskeln aufgestaut war und nach Freisetzung lechzte. Ich beendete meine Runde mit fünfzig Minuten auf dem Laufband. Das war mein persönlicher Rekord. Die Joints, die ich mit Biba geraucht hatte, beeinträchtigten meine Lungenkapazität, aber die Kurzatmigkeit empfand ich nur als Herausforderung, als Ansporn. Ich dachte an nichts als die geistlose Dance Music, die durch das Studio plärrte, und meine Füße hämmerten auf das Laufband, bis meine Muskeln um Gnade flehten. Danach genoss ich unter der Dusche die an Euphorie grenzende Erschöpfung nach dem Training. Beim Einschäumen begutachtete ich meinen Körper. Es war nicht zu leugnen: Ich hatte zugenommen. Meine Arme und Beine sahen nicht mehr so durchtrainiert aus wie früher, und die weiche Wölbung meines Bauchs war neu und unwillkommen und ganz allein meine Schuld. Ich nahm mir vor, mir in Highgate ein Fitnessstudio zu suchen. Ich würde anfangen, im Wald zu joggen. Ich würde mich nicht länger so gehen lassen.
    An diesem Abend durchkämmte ich mein Zimmer nach dem dünnen grünen Zettel, der mir erlaubte, noch einen Dreimonatsvorrat an empfängnisverhütenden Pillen zu kaufen, bevor ich wieder einen Termin mit meiner Ärztin brauchte. Irgendwann fand ich das Rezept zwischen zwei Büchern auf meinem Regal, faltete es zu einem säuberlichen kleinen Viereck zusammen und steckte es in mein Portemonnaie. In meinem alten, reglementierten Leben war es kein Problem gewesen, täglich die Pille zu nehmen. In Highgate wurde diese Gewohnheit allmählich so unregelmäßig wie meine Mahlzeiten und mein Nachtschlaf.
    Um Mitternacht zu schlafen, war mir zu früh; also sah ich im Bett fern. Auf Channel Four lief ein französischer Film aus der Drei-Farben-Trilogie. Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Ich vermisste die Capels schmerzlich. Meine Ohren waren leer ohne Bibas Geplauder, und mein Körper sehnte sich nach Rex’ Berührungen. Es erinnerte mich an das Gefühl der Heimatlosigkeit, das einen überkommt, wenn man in einem anderen Land gelebt hat und dann nach Hause zurückkehrt: Man hat Heimweh nach britischem Essen und Fernsehen und Umgang, solange man weg ist, aber kaum ist man wieder zu Hause, sehnt man sich nach dem Ort, den man eben verlassen hat.
    Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war der, dass ich mich nicht erinnern konnte, wann ich das letzte Mal eine Fremdsprache hatte sprechen müssen. Über sechs oder sieben Jahre hinweg war ich jeden Sommer im Ausland gewesen. Es war das erste Jahr, in dem ich mit dem Leben in meiner Muttersprache zufrieden war.
    Die Mitarbeiter am Queen Charlotte’s College bezeichneten ihre miefigen kleinen Kabuffs als » Zimmer«. Das war ein– vermutlich sehnsüchtiger– Rückblick auf die alten Colleges, die ihre Leute mit Suiten zum Wohnen und Arbeiten ausgestattet hatten, nicht mit vier Quadratmeter großen Schachteln in einem ehemaligen Bürogebäude. Caroline Albas » Zimmer« waren noch enger als die meisten, und durch das Fenster hatte man einen Blick auf die Steigleitung an der Wand gegenüber. Aber sie hatte alles mit Bildern und Postkarten tapeziert, die ihre Studenten ihr jeden Sommer schickten. Links neben dem Fenster hing ein Flyer von einer Studentenaufführung, die ich in einem natürlichen Amphitheater außerhalb von Rom gesehen hatte. Den hatte ich ihr mitgebracht.
    Es war unmöglich, sie nicht zu mögen: Sie war gescheit, aber nicht einschüchternd, warmherzig, aber nicht sentimental, und sie war der einzige Mensch, der mein Sprachentalent verstand, ohne dass ich etwas erklären musste. Wenn ich narzisstische Anwandlungen hatte, fragte ich mich, ob ich sie vielleicht an ihr jüngeres Ich erinnerte. Ihr Haar wurde grau, und ihr Schädel war so geformt, dass sie es kurz geschnitten tragen konnte. Sie kleidete sich nüchtern, aber ich habe nie zweimal hintereinander dieselben Ohrringe an ihr gesehen. An dem Tag, als ich sie in ihrem Arbeitszimmer besuchte, hingen zwei

Weitere Kostenlose Bücher