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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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Aber deshalb bin ich nicht hergekommen.«
    Er streckte ihr den geleerten Becher hin und nickte ihr auffordernd zu. Grazia gelang es nicht sofort, das Gefäß zu füllen, denn sie wälzte noch seine Worte hin und her. War Mallayur zu trauen? Wohl kaum! Was, wenn er log? Allein der Gedanke, Anschar müsse weitere solche Behandlungen über sich ergehen lassen, fühlte sich an, als lege sich eine Hand um ihr Herz und presse sämtliches Blut heraus. Sie erschauerte, versuchte ihn zu verdrängen und sich dem Wunsch des Meya zu widmen. Kurz darauf troff das Wasser über den Becherrand. Henon, der noch damit beschäftigt war, die Spuren seines Missgeschicks zu beseitigen, kroch näher, um die Tropfen aufzuwischen. Er hatte nicht bemerkt, woher sie kamen.
    Madyur trank lauthals schlürfend und seufzte wohlig auf. »Der Wein vom Hyregor ist nichts dagegen. Im Palastgarten habe ich ein Badebecken; das Wasser darin ist immer so schnell brackig und schmutzig, und meine Nebenfrauen schaffen es einfach nicht, die Kinder davon abzuhalten, hineinzupinkeln. Allein zehn Sklaven sind nur dafür da, es immer wieder auszuwechseln. Eigentlich eine scheußliche Wasserverschwendung in diesen Zeiten. Jemand wie du …«
    »Das kann ich nicht«, sagte sie sofort. Sie besaß diese Fähigkeit sicherlich nicht, um ständig ein königliches Planschbecken zu füllen. Allein der Gedanke war absurd.
    »Wäre es zu groß? Was ist mit dem Badebecken hier in deinen Räumen? Kannst du das füllen?«
    Sie schüttelte den Kopf. Henons Ohren schienen zu wachsen.
    »Mir scheint, du bist nur ein bisschen widerspenstig.« Madyur drehte den Becher in den Fingern. »Du musst üben. Das ist ein Befehl. Bedenke, was aus deiner Kraft vielleicht erwachsen kann, auch wenn du keine Nihaye sein solltest. Vergiss nicht, du bist in einem Land, in dem Wasser kostbar ist. Und immer noch kostbarer wird! Begreifst du das?«
    Ergeben nickte sie. Es klang nicht unvernünftig. Sie hatte ja bereits so viel über verdorrte Ernten und kahle Felder gehört.
    »Gut. Ich gehe wieder schlafen.« Er machte Anstalten, sich zu erheben. »Ist noch etwas?«
    »Ja.« Sie hatte sich, die Decke dicht am Kinn, vorgeneigt. »Darf ich etwas ansprechen?«
    »Hat das nicht Zeit bis morgen?«
    »So wenig wie das mit dem Wasser.«
    Sein Mundwinkel zuckte belustigt. »Dann sprich.«
    Sie biss sich auf die Lippe. »Es geht um Henon.«
    »Was, um ihn?« Der Meya wies auf den Sklaven, der still
am Eingang stand und angesichts des königlichen Daumens, der auf ihn zeigte, erzitterte.
    »Er ist ein Mann aus dem Land Temenon, und Anschar …«
    »O Herrin!« Henon ließ den Lappen vor Schreck fallen, hob die Hände und warf sich auf die Knie. »Ich bin nichts, nur ein Sklave.« Er stieß einen heiseren Schrei aus, als sich der Meya vorbeugte, ihn am Arm packte und in eine aufrechte Haltung zwang.
    »Du hast Anschar gehört, oder?«
    »Ja, Herr!«
    »Er kam mit Anschars Mutter aus Temenon und wurde versklavt«, versuchte Grazia weiterzusprechen, aber sie merkte, dass es sinnlos war. »Man hat sie …«
    »Dieses Häufchen Elend will die Wüste durchquert haben? Aber natürlich!« Erneut schüttelte Madyur den alten Mann, der wie eine Puppe auf dem Boden kauerte.
    Sie schluckte und nickte dann. Er ließ ihn los und stand auf.
    »Für solche Scherze fehlt mir der Sinn. Wir haben soweit wohl alles besprochen, daher gehe ich wieder ins Bett.«
    »Aber du musst es glauben!«, rief sie ihm hinterher. Der Meya hielt inne und maß Henon mit nachdenklichem Blick.
    »Anschar war zu nachsichtig mit ihm. Dir als seiner Herrin sollte klar sein, dass auch alte Sklaven, die nicht mehr ganz richtig im Kopf sind, bestraft werden, wenn sie groben Unfug machen. Und so eine Behauptung aufzustellen, ist nicht nur Unfug, sondern eine Frechheit. Es wäre deine Aufgabe, ihn zurechtzuweisen, aber das tust du ja doch nicht. Henon?«
    »Ja, Herr?«, flüsterte Henon kaum hörbar.
    »Finde dich morgen bei einem der Sklavenaufseher ein und sage ihm, dass du ein paar Streiche auf den Rücken bekommen sollst.«

    »Ja, Herr.«
    Grazia wollte protestieren, doch bevor ihr ein Wort gelang, war Madyur aus dem Raum. Sie schlüpfte aus dem Bett, und obwohl sie nur ihr Unterzeug trug, kniete sie vor Henon und nahm in die Arme. Er wehrte sich nur schwach.
    »Es tut mir so leid, Herrin, dass ich dich beschämt habe.« Schniefend wischte er sich über die Augen. Sie wollte ihm sagen, dass er nichts, aber auch gar nichts getan hatte, doch sie

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