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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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ähnelte in Ausmaß und Tiefe der Aufgabe, die vor ihm lag. Er hörte Nadja schnarchen. Er hörte das Zwitschern der ersten Vögel, sagte leise den Namen, Wernher von Braun, wieso eigentlich mit diesem seltsamen H, Wernher, wie ein Herr, Herr von Braun, Wern Herr von Braun, braun wie die Nazis, Braunau, Braun, die Firma, Kronberg im Taunus, braun-braun ist die Haselnuß, so gingen seine Gedanken, bis die Vögel schon wieder verstummten und die Morgendämmerung den Tag einlöste. Er ging ins Büro. Und da er nicht wußte, wo er anfangen konnte, ging er zu demKollegen, den er am meisten schätzte und dem er vertraute, Friedrich Kattner aus der Politik, und fragte ihn beiläufig: »Was meinst du ist mit diesem Wernher von Braun los?«
    »Ich wußte gar nicht, daß dich so Brisantes interessiert«, sagte Kattner und schlürfte den Tee vom Tassenrand. Er trank ausschließlich Tee, wenn es gab, mit Zitrone. Vielleicht war er Anton deshalb sympathisch. »So trinken die Russen Tee«, sagte er ohne nachzudenken, und Kattner sagte: »Das haben sie von den Türken.«
    »Von den Chinesen«, sagte Anton.
    »Blödsinn.«
    »Natürlich. Die Chinesen haben die Zitrone erfunden.«
    »Ein Glück bist du auf Der Letzten Seite «, sagte Kattner, »da kannst du deine Märchen verbreiten.«
    »Also, was ist mit Wernher von Braun und diesem Project Paperclip.«
    »Project Paperclip hab ich noch nie gehört. Aber Wernher von Braun hat sich nach Kriegsende den Amerikanern angeboten. Sie haben ihn nach Fort Bliss gebracht, Texas, falls dir das was sagt, und mit ihm noch seine früheren Mitarbeiter. Da waren die Russen vielleicht sauer. Aber kein Mensch geht freiwillig nach Moskau, klar. Und die Amis, die scheinen es toll zu finden. Obwohl Brauns Wunderwaffe militärisch der totale Flop war. Aber dort kann er einfach weiter Geld ausgeben wie ein volltrunkener Matrose.«
    »Nee, kein Mensch geht freiwillig nach Moskau«, entfuhr es Anton.
    »Außer«, sagte Kattner und stellte die Teetasse neben die Untertasse, »dort wird dir gottgleicher Ruhm geboten. Bei den Amis gibt’s nur eine Menge Geld.«
    »Die Russen hätten ganz gerne jemanden.«
    »Die brauchen jeden. Die nehmen noch das letzte Nebelhemd. Der Bär, zum Kampf bereit. So erledigt wie wir sinddie.« Kattner trank wieder vom Tassenrand. Dann biß er in den Zitronenhalbmond.
    »Sie nehmen die, die übrigbleiben«, sagte Anton.
    »Abgeheftet«, sagte Kattner.
    »Büroklammer.«
    »Aber viel interessanter als der Braun ist doch, sich zu fragen, was die Bären machen werden.«
    »Das Revier absichern.«
    Kattner schlürfte und trank. »Sonst würde der andere sehen, daß es bei ihm selbst nichts mehr zum Fressen gibt. Geschweige denn Geld, das man braucht, um eine Rakete zu bauen.«
    Anton war mit den Gedanken schon woanders.
    »Wir hocken nur so verdammt dämlich dazwischen«, sagte Kattner mit zitronensaurem Gesicht, »während sie ihre Vorgärten absichern. Erst ein Zaun und dann noch viel mehr.«
    Anton räusperte sich. Kattner fuhr fort.
    »Daß sie uns vorher haben Republiken werden lassen, war einfach unglaublich nett von ihnen.«
    »Und, von Braun ...«, begann Anton.
    Kattner machte nur eine Handbewegung, als verscheuche er eine Fliege. »Ach, weiß Gott, Macht, Ruhm und Geld, alles zusammen, wenn er es bis in den russischen Vorgarten schafft.«
    Anton kehrte in sein Büro zurück und war mit einem Mal froh, nicht in der Politik zu arbeiten, in der Welt der komplizierten Fakten. Er wollte das alles gar nicht wissen. Er war froh um seine Meldungen aus den europäischen Königshäusern, um Nachrichten aus der Welt der Mode, froh über die Rubrik – die er erfunden hatte – ›Knigge für den Alltag‹. Wie wichtig waren Regeln für den alltäglichen, gesellschaftlichen Umgang miteinander, wie Frauen rauchen, wenn sie rauchen, was Männer für Hüte tragen, für Schuhfarben wählen sollten, mit welcher Hand es galt, der Dame eine Tür aufzuhalten. Er war froh, ob der Welt seiner Horoskope: ›Achten Sie heute darauf, jede Straße besonders aufmerksam zu überqueren. Der Verkehr auf den Alleen nimmt Tag für Tag zu. Wir laufen im Strom der Menschen, an den Schaufensterscheiben vorbei, und die Dinge darin ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Im Tierkreiszeichen des Fisches Geborene sind hier besonders angerufen, aufmerksam zu sein. Sie sind, wie wir wissen, Zeitgenossen, die sich unablässig mit allem, was um sie herum ist, beschäftigen. Sie nehmen außerordentlich viel wahr. Sie

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