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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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Wohnung wohnten, weil es ihn in ihrem Leben als Gönner gab, als Mann, dem er sich immer noch zu Dank verpflichtet fühlte, waren die Briefe ein Problem. Sie funkten unerlaubt in ihr Leben hinein. Er mußte die Verbindung kappen.
    Auf dem Telegramm, das er am nächsten Morgen schrieb, stand nur: › BITTE KEIN BESUCH. NADJA SEHR KRANK. WIR ZIEHEN UM. ‹
    Er ließ sich von der Redaktion aus telefonisch durchstellen zum Aufbau , New York. Er sprach die Sekretärin, Samuel Weniger sei nicht mehr im Hause, es schien fraglich, ob er wieder hereinkommen würde. Anton wünschte, zurückgerufen zu werden. Niemand rief zurück, tagelang. Er recherchierte bei den Transatlantiklinien, er ließ sich wieder und wieder mit dem Aufbau verbinden, die Sekretärin sagte, sie könne ihm nicht weiterhelfen, vielleicht sei Herr Weniger auch einfach verreist. Er sah ihn an der Reling eines Überseedampfers stehen, die Gischt betrachten, oder das weiße Wirbeln am Heck, als schlage die Schraube das Meer zu Sahne. Sich einen hübschen Gedanken darüber machend, wie schön das aussah, was in Wirklichkeit ein gefährlicher Sog war.
    Anton fand eine möblierte Vierzimmerwohnung in der Nestorstraße, oberes Charlottenburg, kündigte den Umzug an, packte selbst ihr immer noch bescheidenes Hab und Gut zusammen, ließ Wenigers Wohnung von der Stachowiak-Tochter putzen, ließ sie die Gardinen waschen, die Teppiche ausklopfen, jeden Teller in der Küche abspülen, ließ sie die Schränke auswischen, die Böden bohnern, den Stuck abstauben, gab ein zweites Telegramm auf, an Herrn Samuel Weniger, an die Adresse, die ihm über eine lange Zeit hinweg in Herz und Hand übergegangen war, und schrieb: › IN REDAKTION MELDEN, WENN DA. KEINE AUFREGUNG FÜR NADJA. ‹
    Eines Abends in der Nestorstraße fragte Nadja ihn an der Tür zu seinem Arbeitszimmer, in dem er auch schlief: »Warum so plötzlich?«
    »Was?« Er war in Gedanken, bei der Arbeit am Weltempfänger, sein Code konnte jederzeit gefunkt werden.
    »Wir hätten nicht gemußt«, sagte sie.
    »Damit alles so bleibt, wie es ist«, sagte Anton, »nur mit einem ordentlichen Mietvertrag.«
    »Will er wieder dort einziehen?«
    Anton spürte die Rillen des Reglers in den Fingerspitzen, er schaute nicht auf.
    »Es geht ihm gesundheitlich nicht gut.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Nadja und machte einen Schritt hinein ins Zimmer.
    »Flurfunk in der Redaktion.«
    »Will er uns nicht besuchen?«
    »Nein.«
    Nadja steckte die Hände in die Taschen ihrer Schürze.
    »Ob es auch Sendungen aus Moskau übertragen kann?«, fragte sie nach einer Weile mit kalter Stimme. Anton war sich sicher, ihren Sarkasmus darin gehört zu haben.
    »Für diesen Zweck habe ich es gekauft«, sagte Anton und spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Er nahm die Finger vom Regler, es rauschte und zischelte auf einer unverfänglichen Frequenz. Er stand auf, zog seine Anzugjacke aus, drehte Nadja dabei den Rücken zu, hängte das Jackett in den Schrank, der neben dem schmalen Bett stand, gegenüber vom Schreibtisch. Er sah eine Sekunde lang seine Hände vor sich, wie er jedes Blatt im Hefter, der beim Weltempfänger im Koffer gelegen hatte, aufgeblättert, komplett memoriert und danach vernichtet hatte. Alles was er wissen mußte, war in seinem Kopf gespeichert, sein Kopf hielt seine Hände an, was zu tun war. Die Wahrheit war nur in ihm.
    Jeder Handgriff strahlte Beflissenheit aus, das sah Nadja, eine ungewohnte Ausführlichkeit, mit der er sich den Schulterpolstern widmete, den Stoff glattstrich, das Einstecktuch herauszog, faltete, beiseite legte, die Armbeuge am Ärmelauszog. Sie beobachtete ihn. Wie eine Windböe, so hatte es sie erwischt. Er log. Er log bei allem, was er machte.
    In dem Augenblick, als er den Stoff seiner Anzugjacke glattstrich, die geordneten, gleichförmigen Schulterpartien seiner Bürouniformen sah, suchte er einen Anfang. Er wollte ihr sagen, daß er etwas für sie tat, für die Sowjetunion, daß er es eigentlich nicht heimlich tun wollte, aber zur Geheimhaltung verpflichtet war, und jetzt, da sie auch ein Geheimnis mit sich herumtrug, das sie preiszugeben nicht bereit war, entsprachen sie sich in ausgeglichener Gerechtigkeit. Brehms Worte kamen ihm in den Kopf, die Rede vom Gleichgewicht. In jeder Hinsicht. Um den Kern herum, um das Unsagbare, sprudelte allerlei Herausreden, er wollte sagen, daß er doch auch nicht wisse, wie alles weitergehe, ob sie auf der richtigen oder der falschen Seite

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