Das Glück in glücksfernen Zeiten
unterwegs, und von den dreißig angeschriebenen Hotels sind bis jetzt vier bereit, es einmal mit der Großwäscherei Eigendorff zu versuchen. Das ist wenig. Ich habe heute morgen schon in vier Hotels vorgesprochen, und in allen vier Fällen bin ich gescheitert. Ich spüre deswegen eine gewisse Überreizung, die allmählich auf zerstreuende Erlebnisse angewiesen sein wird. Gerade parke ich vor dem Sunshine-Hotel in der Nähe des Flughafens, und was sich dort abspielt, muß ich für mein Anliegen als ausgesprochen ungünstig bezeichnen. Es gibt auf der Welt kaum etwas Niederschmetternderes als ein plötzlich anhaltender Reisebus, aus dem etwas sechzig Rentner herauswanken. Diese sich lang hinziehende Szene ereignet sich genau vor meinen Augen. Die Rentner bewegen sich in Richtung des Hotels, in dem ich mich nach dem Schicksal unseres Angebots erkundigen muß. Ich schließe den Wagen ab und gehe ebenfalls auf den Hotel-Eingang zu. Das heißt, ich muß mich unter die Rentner mischen und werde dadurch selbst rentnerartig. Wenn ich heute morgen nicht bereits erfolglos gewesen wäre, würde ich jetzt umkehren und irgendwohin fahren. Aber durch diesen Notausgang darf ich jetzt nicht entkommen. Es überflutet mich ein Widerwille gegen die Wirklichkeit, vermischt mit der inneren Überzeugung von der Minderwertigkeit alles dessen, was sich hier ereignet.
Zum Glück treffe ich im Foyer gleich auf die Direktorin, Frau Loibl. Aber ich komme nicht dazu, meinen Vers aufzusagen. Frau Loibl unterbricht mich, weist auf die in der Hotelhalle umhergehenden Rentner und sagt, ich solle Platz nehmen und es eine halbe Stunde später noch einmal versuchen. Es handelt sich um eine Reisegruppe aus Göttingen, deren Flug nach Teneriffa auf den nächsten Tag verschoben wurde. Die Fluggesellschaft hat den Rentnern als Entschädigungeinen Hoteltag geschenkt. Das ist der Grund, warum die Rentner so prächtiger Laune sind. Es ist gleichgültig, ob sie in Teneriffa oder auf Rhein-Main sind, Hauptsache, es gibt etwas umsonst. Ich schlucke mehrmals und spüre im Schlucken, wie unwürdig es ist, daß mich diese fremden Dinge einschüchtern. Tatsächlich bin ich fast halb gelähmt. Ich betrachte die Rentner-Karawane, die sich gerade in verschiedene Richtungen aufteilt. Eine Großgruppe stürzt sich mit abstoßender Freude auf ein Buffet, andere suchen Fahrstühle und Toiletten. Es wird von mir gefordert, daß ich mich anpasse und so lange warte, bis sich mein Vorteil wieder zeigt. Ich rede mir ein, daß Frau Loibl nach der Unterbringung der Rentner erschöpft sein und dann mir, einem ruhigen angenehmen Menschen, aufgeschlossen gegenübertreten wird. Du bist nicht generell abgelehnt, sondern nur in einer spezifischen Situation. Du bist nicht einmal abgelehnt, sondern nur zurückgestellt. Mit diesen Beschwichtigungen im Kopf gehe ich auf eine Café-Bar zu, lege mein Köfferchen auf einem der hochgestellten Sitze ab und bestelle bei einer jungen Frau einen Milchkaffee und ein großes Stück Mohnstreuselkuchen. An der Art meiner Überlegungen habe ich erkannt, daß ich mit meiner Hauptsorge umgehe, dem Gefühl des Ausgeschlossenseins. An diesem Problemüberfall ist zweifellos die Rentnergruppe schuld. Wären diese Besetzer nicht erschienen, würde ich mich blendend fühlen. Ich würde mit der Direktorin zusammensitzen und ihr die günstigen Tarife unseres Hauses erläutern. So aber merke ich, daß meine Aufmerksamkeit es nicht schafft, sich von den Rentnern zu lösen. Im Augenblick stehen etwa fünfzehn von ihnen um einen offenbar schlafenden Hund herum, der seinen riesigen Körper seitlich der Rezeption ausgestreckt hat. Gerade jetzt, im Halbschlaf, muß der Hund niesen und erregt damit das Vergnügen der Rentner. Er niest wie meinMann, sagt eine dicke Frau. Es entsteht ein erhebliches Gelächter, das den Hund weckt. Das Tier erhebt sich verwirrt und blickt wunderbar hündisch hilflos auf seine Betrachter. Obwohl diese Leute ihm seinen Frieden genommen haben, bellt er nicht und zeigt keinerlei Aggression. Er dreht sich nur um und verschwindet in einem Raum seitlich der Rezeption, vermutlich die Küche. Normalerweise helfen mir solche Beobachtungen, das Gefühl des Ausgeschlossenseins zu mildern beziehungsweise zu verwandeln. Durch Identifikation mit einem Aufgestörten (es darf ruhig ein Hund sein) bildet sich aus den vertriebenen Einzelnen ein Geheimclub, dem ich dann plötzlich angehöre. Jetzt aber, weil der Hund die Auseinandersetzung mit den Rentnern
Weitere Kostenlose Bücher