Das Glück in glücksfernen Zeiten
einsetzen wird als für eine Schule der Besänftigung. Trotzdemüberlege ich, ob ich das Mißverständnis sofort aufklären soll, zumal ich mich an seiner Entstehung unschuldig fühle. Im Gegenteil, wenn es jemanden gibt, der eine Pop-Akademie für ein greuliches Verhängnis hält, dann bin ich das. Aber ich genieße schon viel zu sehr Dr. Heilmeiers Zuwendung, so daß ich schnell zu dem Schluß komme, mir mit der Aufklärung Zeit zu lassen.
Es ist so, sagt Dr. Heilmeier, daß die Stadt Ihnen für das erste Jahr mietfrei geeignete Räume zur Verfügung stellt. Oh, sage ich, vielen Dank.
Ich warte darauf, die Grundzüge meiner Schule darstellen zu können, aber Dr. Heilmeier läßt mich nicht zu Wort kommen.
Der nächste Schritt wird sein, Sie reichen mir eine Liste Ihrer Dozenten ins Amt und außerdem einen Entwurf Ihres Lehrplans.
Unbedingt, sage ich.
Am besten ist, wenn Sie mit Ihren Unterlagen nicht allzu lange warten. Ich werde Ihren Entwurf unverzüglich dem Kulturausschuß vorlegen, damit die Suche nach den Räumen in die Wege geleitet werden kann. Außerdem wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich über alle weiteren organisatorischen Schritte informieren würden.
Klar, sage ich.
Es hat den Anschein, daß meine erste Berührung mit dem Kulturamt hiermit beendet ist. Ich bin höflich und erhebe mich. Einige Augenblicke warte ich stehend, ob Dr. Heilmeier zu weiteren Merksätzen ausholt, das ist nicht der Fall. Ich reiche meine rechte Hand über den Schreibtisch, aber Dr. Heilmeier ist bereits in einen anderen Aktenordner vertieft und wartet ein wenig beleidigend darauf, daß ich gehe. Wie entsetzlich es wieder ist, wenn man genau das tun muß, was jemand von einem erwartet! Einige Augenblicke langwill ich die Schule der Besänftigung an der Wand des Kulturamtes zerschmettern. So schnell und elegant wie ich kann, verlasse ich das Büro und gehe den langen Gang entlang.
Obwohl ich mir momentweise als hereingeschneiter und jetzt wieder hinausschneiender Bittsteller vorkomme, betrete ich doch mit aufgehelltem Gemüt die Straße. Meine erste Präsentation im Kulturamt war ein Erfolg. Ich sehe eine junge Mutter mit Kind und Kinderwagen und weiß sofort: Mit diesen schönen Anblicken geht mein inneres Frohlocken weiter. Die Mutter trägt eine dünne Bluse mit vielen farbigen Blumenmustern. Die Frau lacht Autos und Häuser und Geschäfte und ihr Kind an, es ist unglaublich. Es ist die Formkraft der Glückserwartung, die Frauen schön macht. Das Kind hat die weiße Haut seiner Mutter, außerdem einen himmelblauen Luftballon, der in Kopfhöhe des Kindes am Kinderwagen befestigt ist. Sobald es die Schule der Besänftigung gibt, werde ich Vorlesungen über den Aufbau des Glücks in glücksfernen Umgebungen halten. Das ist mein Spezialgebiet. Wir müssen uns das Außerordentliche selber machen, sonst tritt es nicht in die Welt. Ich benutze (wie jetzt) ein kleines Anfangsglück (meine vielversprechende Präsentation) und spekuliere auf wohlgesonnene Folgeglücke. Das heißt, ich schaue schnell und gewandt und bedürftig umher, bis ich irgendein Bild sehe, an das sich mein Bedürfnis dranhängen kann. Viele offenkundig hilflose Menschen treiben in den Straßen umher, sie steigern mein Beiseite-stehen-Wollen und (darin) meine Glücksjagd. Und meistens (wie jetzt wieder) finde ich einen Sehepunkt für eine Anknüpfung. Ich komme an einem italienischen Terrassenrestaurant vorbei und sehe dort an einem Tisch eine dicke Frau und einen kleinen Jungen sitzen. Die beiden haben riesige Portionen Spaghetti vor sich stehen, reden miteinander und verschlingen dabei ihre Spaghetti.
Das heißt, im Augenblick, als ich weitergehen will, erhebt sich die Frau, nimmt ihre Handtasche und geht ins Lokal, vermutlich muß sie auf die Toilette. Auf ihrem jetzt leeren Platz sehe ich einen Löffel liegen. Ich sehe zweimal und dreimal hin. Die Frau war die ganze Zeit auf dem Löffel gesessen und hat es nicht bemerkt. Für das Aufessen der Spaghetti braucht sie den Löffel nicht, es genügt ihr die Gabel und das dichte Schweben ihres großen Mundes über dem Spaghettiberg. Ich drehe mein Gesicht zur Seite, niemand soll mein Kichern sehen oder hören. Ich habe immer gewußt: das Lächerliche wartet auf den Augenblick seiner Enthüllung. Der Junge blättert in einem Comic und achtet weder auf mich noch auf sonst etwas. Die Frau kehrt nach kurzer Zeit aus dem Lokal zurück. Jetzt wird sie den Löffel bemerken! Der Junge sieht die Frau freudig an und
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