Das glückliche Ende der Welt.
gestorben. Die Gschwend ist dann ein paar Jahre leer gestanden, bis dann meine Eltern und der Kern aufgezogen sind. Den Stein da draußen hat der damalige Forstwart aufstellen lassen. Oft hat der Vater die Geschichte erzählt, und ein paarmal hat es ihn bei dem Stein angeweizt, ist dort ein Lichtlein gewesen und hat eine Stimme gewinselt und gejammert.«
Die Vergangenheit auf der Gschwend und das tragische Geschehen waren in die Stube gekommen, und die Frauen waren still und blaß geworden.
»Ist eine grausliche Geschichte«, würgte der Kaspar.
Zwölfmal rumpelte der Kuckuck aus der Uhr und stieß seinen hellen Ruf in die Stube.
»Ich meine«, sagte die Burgl gepreßt, »wir sollten den armen Seelen ein paar Vaterunser beten und dann ins Bett gehen.«
Sie falteten die Hände und beteten murmelnd und monoton.
Dann trennten sie sich, und die Lina sagte noch bittend: »Gell, wenn es etwas sein sollte mit mir, dann weckt euch der Ambros.«
In den Häusern auf der Gschwend verlöschten die Lichter hinter den kleinen Fenstern. Über den Waldbergen flirrte das Sternenlicht und der eiskalte Wind hauchte um die weltverlorene Einöde der Gschwend.
Am späten Nachmittag des Weihnachtstages wurde die Lina unruhig, und das große Ereignis kündigte sich an. Die Burgl war bei der sich in Schmerzen Windenden in der Kammer, der Ambros stellte einen großen Kübel Wasser auf den Ofen, irrte ratlos in der Stube herum und trug schließlich das kleine Weihnachtsbäumchen in den Hausgang und deckte den Tisch. Der Kaspar fuhr in die Stiefel, nahm den Holzschlitten und sauste zur Guglwies hinunter. Er trat von einem Bein auf das andere, bis endlich die Wehmutter drunten in Stinglreut ans Telefon geholt war, und als diese bestellen ließ, daß sie allein in diesem Schnee nicht hinaufkomme, rumpelte er aus der Türe und raste mit dem Schlitten ins Tal, daß ihm die beißende Kälte die Wangen und das Kinn hart und steif werden ließ. Die Hebamme erwartete ihn greinend am Dorfeingang.
»Wie soll ich altes Weib da hinaufkommen? Das kann niemand von mir mehr verlangen! Wie kann man nur so närrisch sein und in so eine Einschicht ziehen! Heißen euch eh alle die Narren von der Gschwend. Und ich altes Leut soll jetzt —«
»Red net soviel und sitz auf!« giftete sie der Kaspar an und drückte sie auf den Schlitten. »Dich bring ich hinauf, und wenn ich mir die Arme ausreißen muß! Werd dich auch bald brauchen, weil es mit meiner Burgl in ein paar Wochen auch soweit ist.«
»Da oben sollte man sich das Kinderkriegen überlegen«, nörgelte sie fort, »mußt mich schon ziehen, kann dir net helfen, ich hab es euch net geschafft und net geraten, daß ihr ans Ende der Welt gehen sollt.«
»Mach das Maul zu, sonst gefriert es dir die Zunge! Auf geht’s.«
Er stand zwischen die Schlittenhörner, spuckte sich in die Hände und zog an. Bald dampfte sein Atem wie der eines im Geschirr gehenden Pferdes, und er mußte eine Pause einlegen.
»Bin ich schwer? So ein altes Leut ist ja federleicht, und den Schlitten hättest so und so wieder auf den Berg ziehen müssen«, winselte die Hebamme, und er riß den Schlitten wieder weiter, weil ihn eine heftige Antwort würgte. Bei weiteren Pausen sah er sich schon gar nicht mehr nach seiner Last um. Arme und Füße zitterten ihm, und gegen den Durst und die Trockenheit der Kehle griff er immer wieder eine Handvoll Schnee auf .
Nach einer Schinderei von drei Stunden, und als die Nacht schon angebrochen war, hielt er mit wankenden Knien vor dem Haus des Keppl auf der Gschwend an.
»Na, siehst, es ist ja gegangen!« lobte die Wehmutter. »Du bist ein gutes Roß.«
Da warf er mit der letzten Kraft den Schlitten um, daß sie im Schnee, die Röcke über dem Kopf und die Beine strampelnd, einen Kopfstand machte.
Dann folgte er ihr in die Stube, sank auf die Bank und fing sofort zu schlafen an. In der Kammer tat bald ein neuer Einwohner der Einöde Gschwend seinen ersten Schrei, aber den Kaspar störte es nicht. Er schlief noch am kommenden Morgen, als der Ambros die Wehmutter in so schneller Fahrt wieder nach Stinglreut hinunterbrachte, daß ihr Angstgezeter und Schreckensgeschrei im Walde hallte. Und er schnüffelte und grinste, leerte im Dorf den Schlitten mit einem kräftigen Ruck und ging zu den Angehörigen, um sie von dem großen Glück zu verständigen, das am Ende der Welt eingetroffen war: ein kräftiger Bub.
Im Bayerischen Waldgebirge hatte nach Neujahr der Holzzug begonnen. Das war eine
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