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Das glückliche Ende der Welt.

Das glückliche Ende der Welt.

Titel: Das glückliche Ende der Welt. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Friedl
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Arbeit, die bärenstarke und geübte Männer erforderte, denn die viele Zentner schwere Schlittenlast über die tief in den Schnee gefurchte Ziehbahn ins Tal zu bringen, sie an den steilen Stellen zu meistern und um die Kurven zu bringen, verlangte alles an Kraft und Einsatz. Wer in einem kritischen Augenblick die Nerven verlor, riskierte sein Leben.
    Um den Hochdruck im Forstbezirk Guglwies lag der Schnee in meterhohen Wehen. Er deckte das Unterholz zu und klammerte sich in schweren Behängen an die Fichten und Tannen, beugte ihre Gipfel und drückte ihre Äste zu Boden.
    Sie waren wieder alle angetreten, der alte Sterl und der Kern, der Utz, und von der Gschwend der Keppl und der Thums, nur der Weber fehlte. Anfang Januar hatte ihn das Amtsgericht, trotz seiner Behauptung, daß er das angeschossene Reh im Walde gefunden habe, und obwohl eine Haussuchung keine Waffe zutage brachte, zu vielen Monaten Gefängnis verurteilt. Einige Stinglreuter, darunter der Reibenwirt, hatten sich bei der Verhandlung im Gerichtssaal herumgedrückt und hatten den Förster Greiner übersehen, als hätten sie ihn nie gekannt. Auf dem Heimweg hatte ihn der alte Waldhirte Schreindl vertraulich angesprochen und mit verkniffenem Gesicht gesagt:
    »Na, jetzt wissen Sie es ja, Herr Förster, nun brauchen Sie mich net mehr verdächtigen. Ich hab mit dem Weber nix zu tun. Wenn ich daran denke, wie Sie mit nur umgesprungen sind — mit einem unschuldigen alten Mann —«
    »Schau, daß du weiterkommst, du scheinheiliger Gauner!« hatte ihn der Förster abfahren lassen.
    Auf dem Hochruck sprach man von Weber kaum. Dort hatte jeder mit sich selbst zu tun. Die Ziehbahnen waren von Tag zu Tag eisiger und schneller geworden. Sie mußten den Schlitten als Bremse noch einen nachschleifenden Anhang von Holzscheitern geben und durften die Kontrolle über die eiserne Bremskralle, die an den Schlittenhörnern befestigt war und unter die gleitenden Kufen geschoben werden konnte, nicht verlieren. Geschah das, dann wurde das Ringen mit dem sausenden Schlitten ein Kampf um das Leben.
    Der Winter brachte Tage mit einer Kälte, die sich tief in das Mark der Bäume fraß, die rauhen Hände in den Fäustlingen steif machte und den hetzenden Atem und den dampfenden Schweiß gefrieren ließ. Dann zog wieder schweres Gewölk auf, fiel neuer Schnee, der die vereisten Ziehbahnen tückisch machte. Den schneevermummten Baumgipfeln wurde die Last zu schwer: sie splitterten und brachen krachend zusammen.
    Nun waren die Häuser auf der Gschwend völlig im Schnee versunken. Täglich mußten die Bewohner die Schächte ausräumen, die zu ihren Fenstern hinunterführten, um wenigstens ein Dämmerlicht in ihre Stuben zu bringen. Der Weg von den Haustüren zum Brunnen und von Haus zu Haus war ein mannstiefer Graben, den der Böhmwind immer wieder zuwehte. Die Schindeldächer und Holzwände knarrten und ächzten unter der Last. Nur an den Sonntagen fanden die Männer Zeit, die Dächer abzuschaufeln. Ein Witterungsumschlag mit größerer Luftfeuchtigkeit oder gar ein Regen hätten die Schneemassen zu Blei gemacht und die Hausdächer eingedrückt.
    Es war noch Nacht, wenn der Ambros und der Kaspar ihre Häuser verließen, um mit dem Holzschlitten hinüber zum Hochruck zu ziehen, und es war bereits wieder Nacht, wenn sie, zum Umfallen müde, auf die Gschwend zurückkehrten. Sie wollten die Zeit des guten Verdienstes nützen und zogen dreimal am Tag eine Fuhre zu Tal, waren zum erstenmal schon zur Abfahrt fertig, wenn der Morgen graute und die Holzhauer aus dem Dorf eben erst auf der Höhe ankamen. Das Lob des Försters machte sie stolz.
    In diesem schneereichen Hochwinter kam von der Gschwend niemand mehr an den Sonntagen nach Stinglreut hinunter zur Kirche. Diesen Tag mußten die Männer zum Ausruhen nehmen, und die Frauen wagten sich nicht mehr aus den eingeschneiten Häusern. Dafür fanden sie sich am Sonntagmorgen in der Stube des Ambros zusammen, setzten sich um den Tisch und beteten einen Rosenkranz, wie es auch vor ihnen die Leute auf der Gschwend immer schon getan hatten. Man verbrachte auch den Nachmittag zusammen, an dem die Männer gemütlich ihre Pfeifen rauchten und schließlich von den Frauen auch noch das Stricken lernten. Die Wintereinsamkeit konnte ihnen nichts anhaben, und ihnen dünkten die Tage unterm Schnee genauso schön wie die im lebensfrohen Sommer. Die Lina, die als Einöderin aufgewachsen war, wußte, worauf es ankam, und sorgte mit ihrer Gabe des Erzählens

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