Das Glücksrezept - O'Neal, B: Glücksrezept - The Lost Recipe for Happiness
schwarz wie Kohlestücke.« Sie hielt inne. Wie deine , dachte sie.
»Und weiter?«
»Wir sind gemeinsam erwachsen geworden. Er wollte eine Lehre als Elektriker in der Nähe von Santa Fé machen und schöne Häuser bauen. In der Woche nach dem Unfall sollte er anfangen.« Ein leiser Schmerz regte sich in ihrer Brust. »Er und meine Schwester Isobel saßen auf der linken Seite im Wagen. Sie wurden beide enthauptet.« Sie dachte
daran, wie sie im Graben gelegen hatte, Isobels Hand in ihrer. »Es heißt, das Gehirn braucht zwölf Sekunden, bis es stirbt, nachdem es vom Rumpf abgetrennt wurde. Ich kann nicht darüber nachdenken. Die Vorstellung, sie könnten etwas davon mitbekommen haben, ist einfach zu schrecklich.«
Er wurde blass und gab ihr das Foto zurück. »Ist das Isobel?«
Elena nickte. »Ja. Als ich zu ihnen gezogen bin, war sie diejenige, die Platz für mich gemacht hat. Sie hat ihr Bett mit mir geteilt. Und ihre Mutter. Sie war so glücklich, eine Schwester in ihrem Alter zu haben. Es war, als hätte ich meinen Zwilling gefunden. Als hätten wir uns von Geburt an gekannt.«
»Sie hat etwas Verschmitztes«, stellte er fest.
»Sehr sogar.« Elena nahm ihm das Foto aus der Hand. »Ich habe fast zwei Stunden im Graben gelegen. Und ich dachte die ganze Zeit, Isobel sei bei mir. Halte meine Hand. Als ich Wochen später im Krankenhaus wieder zu mir gekommen bin, konnte ich anfangs nicht glauben, dass sie beide tot sind.«
»Elena, es tut mir so leid, dass Ihnen das passiert ist.«
Sie nickte. »Mir auch. Aber ich lebe. Und ich muss daran glauben, dass es einen Grund dafür gibt.«
»Und kennen Sie diesen Grund?«
»Nein«, antwortete sie schlicht und stellte das Foto auf den Altar zurück. Eine Geisterhand wanderte zum Kuchen und stibitzte ein Stück. Sie fragte sich, ob Julian es bemerkte. Doch er war viel zu erschüttert, um etwas mitzubekommen. Elena dachte an seine Mutter. »Und Sie, Julian?« Sie setzte sich auf das Sofa und tätschelte einladend den Platz neben ihr. »Erzählen Sie mir von Ihrer Mutter.«
Er stand mitten im Raum und sah sie verloren an. »Was soll ich sagen?«
»Wie alt waren Sie, als sie getötet wurde?«
Mit einem Mal schien es, als sei dieses Licht in seinem Innern erloschen, so dass lediglich eine graue Hülle zurückblieb. »Zwölf.«
»Setzen Sie sich doch, Julian, und erzählen Sie mir alles von Ihrer Mutter. Danach suchen wir etwas für sie, das wir auf den Altar stellen.«
Mit einem Mal war es, als sei jedes Fünkchen Kraft aus seinem Körper gezogen worden. Er ließ sich aufs Sofa sinken, saß mit schlaff herabhängenden Armen und Beinen da, den Kopf gesenkt, so dass ihm das dichte Haar ins Gesicht fiel. »Ich war zwölf«, sagte er noch einmal. »Sie ist einkaufen gefahren und nie mehr zurückgekommen. Zwei Männer haben sie auf dem Parkplatz beobachtet, als sie zu ihrem Wagen ging. Sie hatte einen vollen Einkaufswagen dabei. Eier, Milch, Mehl, Äpfel. Das Übliche eben. Frühstücksflocken.«
Elena faltete die Hände im Schoß. Wartete.
»Sie haben sie vergewaltigt und getötet, dann haben sie ihre Leiche auf einen Acker geworfen.« Mit ausdrucksloser Miene sah er auf. »Ein paar Jungs haben sie zufällig beim Fahrradfahren gefunden. Nackt und tot. Sie waren in meinem Alter.« Mit leiser Stimme fuhr er fort. »Das Grauenhafteste war, dass diese Jungs sie so gesehen hatten. Nackt. Das hat mich monatelang nicht mehr losgelassen.«
Sie dachte an seine Filme, an die Brutalität darin. Messer. Zersplitterndes Glas. »Wie entsetzlich, Julian. Es tut mir so leid für Sie.«
Er nahm ihre Hand und hielt sie fest, zog ihren Arm an sich. »Mein Vater hat es nie verwunden.«
»Wie sollte er das auch?«
»Wahrscheinlich haben Sie recht. Aber wie soll man damit weiterleben?« Er öffnete ihre Hand, berührte ihre Handfläche sanft mit den Fingern. Wieder und wieder strich er
darüber, über die winzige Wölbung unter jedem einzelnen Finger, über die feinen Narben und verkrusteten Schnittwunden an den Kuppen. »Tut das nicht weh?«, fragte er.
»Manchmal.«
Behutsam strich er über eine offene Wunde, dann hob er ihre Hand hoch und presste seine Lippen darauf. Einen Moment lang wusste Elena nicht, wie sie auf die Berührung reagieren sollte. Die Feuchtigkeit seiner Zunge, seiner Lippen schoss wie ein Blitz durch ihre Hand, ihren gesamten Körper. Sie gestattete ihm, ihre Finger zu küssen, einen nach dem anderen. Ließ zu, dass er seinen Mund auf ihre Handfläche drückte,
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