Das Gluehende Grab
nämlich
tatsächlich aus wie ein kopiertes Foto von einer
Tätowierung.« Sie reichte Dóra ein einzelnes
Blatt.
»Love
Sex?« Das Motiv war durch die Kopie verzerrt, aber der
Schriftzug war trotzdem noch deutlich lesbar.
»Frag
mich nicht ... Es ist jedenfalls nicht das Tattoo, das der Junge
entfernen lassen wollte. Das war ein chinesisches Schriftzeichen,
wenn ich mich recht erinnere. Ich hab keine Ahnung, von wem dieses
Tattoo stammt und warum Alda es aufbewahrt hat. Vielleicht ist es
von dem Mann hier ... das Bild war auch in ihrer Schublade. Ich
kenne ihn nicht. Ist das vielleicht dein
Mandant?«
Dóra
nahm das Foto, aber sie kannte den Mann auch nicht. Trotz seines
grimmigen Gesichtsausdrucks war er sehr attraktiv. »Nein, ich
weiß nicht, wer das ist.« Sie gab Dís das Foto
zurück.
Dís
reichte ihr stattdessen mehrere zusammengeheftete Blätter.
»Ob der hier eine Rolle spielt, weiß ich auch nicht.
Als ich ihn gefunden {176 }hab, bin ich noch davon ausgegangen,
Alda hätte sich das Leben genommen, und er könnte etwas
damit zu tun haben. Merkwürdigerweise war Alda ausgesprochen
gut gelaunt, kurz bevor es passiert ist. Selbstmord kam mir so
absurd vor, deshalb hab ich versucht, eine Erklärung zu
finden. Aber da es sich um Mord handelt, ist er vielleicht gar
nicht mehr wichtig. Du kannst ihn dir ja trotzdem mal
anschauen.«
»Was ist
das?« Dóra nahm die Blätter
entgegen.
»Der
Obduktionsbericht einer älteren Frau, die vor einem halben
Jahr gestorben ist. Ich hab ihren Namen noch nie gehört. Ich
dachte, sie wäre vielleicht eine Verwandte von
Alda.«
Dóra
schaute auf das oberste Blatt und las den Namen der Verstorbenen.
Valgerður Bjólfsdóttir. Den Namen hatte sie doch
vor kurzem schon einmal gesehen. Nur wo? »Dürfte ich mir
das vielleicht kopieren?«
20
FREITAG 20. JULI 2007
Dóra
fand den Namen im Büro sofort wieder. Er stand auf der Website
über die Siedlung, die bei dem Vulkanausbruch verschüttet
worden war. Daraus ging hervor, dass die Frau mit ihrem Ehemann,
Daði Karlsson, im Nachbarhaus von Markús’ Familie
gewohnt hatte. Valgerður Bjólfsdóttir hatte als
Krankenschwester in der Klinik auf den Westmännerinseln
gearbeitet, ihr Mann war Steuermann. Nach der Evakuierung waren sie
nicht zurück auf die Insel gezogen. Das Ehepaar schien
kinderlos gewesen zu sein. Alda konnte also nicht mit ihrer Tochter
befreundet gewesen sein. Da Dóra übers Internet nicht
weiterkam, rief sie Markús’ Bruder an. Er hatte nach
dem U-Haft-Urteil versprochen, ihr jederzeit zu
helfen.
Leifur ging
nach dem zweiten Klingeln ran. Dóra musste ihm erst alles
über das Berufungsverfahren beim Obersten Gerichtshof
erzählen, bevor sie ihn nach seinen alten Nachbarn fragen
konnte. Leifurs Antwort überraschte sie. »Puh, dieses
nichtsnutzige Pack«, stöhnte er. »Was willst du
denn über die wissen?«
»Valgerðurs
Name ist im Zusammenhang mit Alda aufgetaucht, und ich versuche,
eine Verbindung herzustellen. Waren sie miteinander
verwandt?«
»Nicht,
dass ich wüsste«, antwortete Leifur. »Sie waren
zwar unsere Nachbarn, aber ich weiß nicht besonders viel
über sie. Valgerður war zugezogen, aber Daði stammte
von hier. Keine {178 }Ahnung, wo sie sich kennengelernt haben. Sie
sind nach der Evakuierung auf dem Festland geblieben. Ich
weiß wirklich nicht, wo du sie erreichen
könntest.«
»Die
Frau ist verstorben. Ich weiß nicht, ob ihr Mann noch am
Leben ist. Aber ich wollte sowieso nur wissen, ob es
möglicherweise eine Verbindung zwischen Alda und dieser
Valgerður gab.«
»Mir ist
nicht bekannt, dass die Familien Umgang miteinander hatten.
Valgerður war keine Freundin von Aldas Mutter, wenn ich mich
recht erinnere, und die Männer waren auch nicht befreundet.
Diese Leute waren so unausstehlich, dass ich mir kaum vorstellen
kann, dass irgendjemand freiwillig mit ihnen zu tun haben
wollte.«
»Verstehe.«
Dóra wusste nicht, was sie weiter fragen sollte. »Ich
dachte, Alda wäre vielleicht Krankenschwester geworden, um in
Valgerðurs Fußstapfen zu treten, aber das ist dann ja
wohl eher unwahrscheinlich.«
»Valgerður
war Schulkrankenschwester. Sie war berüchtigt dafür, die
Schüler nicht nach Hause zu schicken – sie mussten schon
kollabieren oder auf den Fußboden kotzen, um von ihr
krankgeschrieben zu werden.«
Das
erklärte Aldas Interesse an der Todesursache der Frau nicht im
Geringsten. »Du könntest mir noch einen Gefallen
tun«, bat Dóra. »Ich
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