Das Gluehende Grab
Lebensziele
woanders gefunden.«
»Und
warum redet niemand über dieses Blut, obwohl jede Menge Leute
zwei und zwei zusammenzählen können? Mir ist klar, dass
die Leute fürchten, die Geschichte könnte schlechtes
Licht auf Markús werfen, aber Leifur?« Dóra
wollte, dass Paddi Magnús’ Namen
nannte.
»Markús
ist den Leuten doch vollkommen gleichgültig. Es geht {228 }um
Leifur, und davon profitiert Markús. Wenn Markús in
den Knast kommt, wird Leifur ihn häufig besuchen und mehr Zeit
auf dem Festland verbringen. Eins führt zum anderen, und am
Ende zieht Leifur weg.« Paddi schaute Dóra direkt ins
Gesicht. »Verstehst du, was ich meine?« Dóra
nickte. »Markús und Leifur sind nicht im Hafen gesehen
worden, sondern ihr Vater.« Paddi schirmte seine Augen mit
der Hand vor der Sonne ab. »Aber es gibt sowieso nicht mehr
viele, die sich daran erinnern. Wir sind alle keine jungen
Hüpfer mehr.«
»Aber
selbst wenn Magnús gesehen wurde, ist damit natürlich
nicht gesagt, dass er irgendwas mit der Blutlache zu tun
hat.«
Paddi
schnaubte. »Nein, aber das haben die Leute damals geglaubt,
und daran hat sich nichts geändert.« Er zuckte die
Achseln. »Derjenige, der die Geschichte in Umlauf gebracht
hat, war derselbe, der Daði bei den Bullen verpfiffen hat. Ein
alter Knacker«, Paddi lachte, sodass seine schlecht
gepflegten Zähne zu sehen waren, »so wie ich heute. Er
ist nachts im Hafen herumspaziert und hat die beiden
überrascht, Daði und Magnús, wie sie miteinander
diskutiert haben. Als sie ihn bemerkt haben, haben sie sich zu Tode
erschreckt und sind in entgegengesetzte Richtungen weggelaufen. Der
Alte hat sich gewundert, dass sie ihn noch nicht mal
gegrüßt haben, aber erst am nächsten Morgen hat er
den Zusammenhang begriffen. Er hat erst von der Blutlache erfahren,
als Leute runter zum Hafen gegangen sind, um zu gucken, was die
Polizei da zu suchen hat.«
»Wie
kommt es, dass dieser alte Mann der Polizei nur von Daði
erzählt hat?«
»Das ist
leicht zu beantworten.« Paddi lenkte das Boot in einen weiten
Bogen. »Alle konnten Magnús gut leiden, und der alte
Knacker war da keine Ausnahme. Daði dagegen, den konnte niemand
leiden, also dachte der Alte wohl, dass es in Ordnung wäre,
ihn zu verpfeifen. So konnte er Daði – immerhin fast ein
Zugezogener – eins auswischen und gleichzeitig vor den
anderen gut dastehen.«
»Er hat
also der Polizei eine andere Version aufgetischt als allen
anderen?«, fragte Dóra. »Das ist ein kleiner
Ort. Die wahre Geschichte muss doch am Ende auch der Polizei zu
Ohren gekommen sein.«
Paddi schaute
Dóra an, als sei sie ein dummes Kind. »Unter normalen
Umständen natürlich, aber ein paar Tage später ist
der Vulkan ausgebrochen, und die Leute wurden in alle
Himmelsrichtungen verstreut. Die Zurückgebliebenen hatten
Wichtigeres zu tun, als sich um irgendwelche Blutflecken auf dem
Kai zu kümmern. Außerdem hat noch ein anderer Mann
angegeben, er hätte Daði in jener Nacht in einem
Schlauchboot in den Hafen fahren sehen, aber die meisten waren der
Meinung, er hätte die Geschichte nur erfunden, um sich wichtig
zu machen.« Er sah Dóra an. »Aber weißt
du, was ich nie verstanden habe? Warum so ein Dreckskerl wie
Daði Magnús bei den Bullen nicht verraten hat. Wenn
Daði nichts mit dem Blut zu tun hatte, hätte er doch
erklären können, warum sie zu zweit am Hafen waren. Falls
Daði in die Sache verwickelt war, ist das Ganze genauso
unverständlich. Wenn beide Dreck am Stecken hatten, hätte
Daði Magnús doch zweifellos verpfiffen. Dann hätte
Magnús entweder Daðis Unschuld bestätigt oder
wäre mit ihm zusammen untergegangen. Und da Daði ein
Mistkerl war, hätte er das bestimmt gut gefunden.« Paddi
schaute Dóra noch einmal in die Augen. »Bleibt also
die Frage: Warum hat Daði der Polizei nicht erzählt, dass
er in der Nacht mit Magnús unterwegs war?«
26
SAMSTAG
21. JULI 2007
Tinnas
Englisch war nicht gut genug, um mit der Krankenschwester reden zu
können. Vielleicht hätte sie sich getraut, wenn die
Medikamente sie nicht so benebelt hätten, dass es ihr schon
schwerfiel, Isländisch zu sprechen. Tinna beobachtete, wie die
weißgekleidete Frau den Beutel auswechselte, dessen Inhalt
durch eine Nadel in ihren linken Handrücken gelaufen war. Vor
lauter Verbänden konnte Tinna die Nadel nicht sehen. Die
Krankenschwester, die die Nadel gelegt hatte, hatte die ganze Zeit
gequasselt, aus Angst, sie könnte Tinna wehtun,
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