Das Götter-Opfer
Fußgänger begegneten mir nicht mehr. Es konnte natürlich Einbildung sein, aber ich kam nicht von dem Gedanken los, unter Beobachtung zu stehen. Dieses Gefühl machte mich kribbelig.
Wartete Fatima irgendwo?
Wenn ja, wo hatte sie ihren Platz? War sie sichtbar, oder hielt sie sich an einer Trennlinie zwischen den Zeiten auf? Sie war ja uralt, und sie hatte es geschafft, sich immer wieder anzupassen, aber sie brauchte dafür Menschen, und die saugte sie eben aus, ohne ihnen das Blut zu nehmen wie ein normaler Vampir. Sie nahm ihnen die Seelen, die Psyche, die Lebenskraft. ln etwa das, was noch von keinem Menschen richtig erforscht worden war.
Von einem Baum fielen die Blätter herab und trudelten an mir vorbei. Eines landete dicht neben mir auf dem Boden und blieb dort kleben. Das andere wurde von einem leichten Windstoß gepackt und flatterte auf einen abgestellten Wagen zu, als wäre es von ihm angezogen worden. Schließlich senkte es sich auf das Dach und blieb dort liegen.
Der Wagen war eine dunkle Limousine. Im Prinzip störte er mich nicht. Diese Situation war jedoch anders, und so ging ich recht vorsichtig auf ihn zu und erkannte auch die Automarke.
Es war ein deutsches Fabrikat, ein BMW aus der 5er-Serie. Die Heckscheibe verwehrte mir den Durchblick. Sie war beschlagen und vielleicht auch beschmutzt.
Ich näherte mich ihm von der Fahrerseite. In Höhe des Heckfensters senkte ich den Kopf, um einen Blick in das Innere werfen zu können. Auch das war wegen der getönten Scheiben schwer. Die hintere Bank war leer. Vorn sah das Bild anders aus. Fahrer- und Beifahrersitz waren besetzt. Zwei Männer saßen dort. Sie wirkten tatsächlich wie Wächter, denn von dieser Stelle aus konnten sie das Haus der Horror-Oma perfekt beobachten.
Ich wunderte mich darüber, daß die beiden Männer sich nicht bewegten, obwohl sie mich hätten sehen und mißtrauisch werden müssen. Sie wirkten nicht normal. Der Mann auf der Fahrerseite war zur Seite gesunken. Er lehnte sich gegen die Innentür, als sollte sie ihm Halt geben.
Den Beifahrer sah ich weniger deutlich. Auch seine Haltung irritierte mich, denn er saß zwar normal, hatte den Kopf jedoch nach vorn gebeugt. Deshalb sah er aus wie jemand, der in einen sehr tiefen Schlaf versunken war. Von den Gesichtern der beiden sah ich nichts. Die Männer trugen dunkle Mäntel und hatten ihre Kragen hochgestellt.
Mir fiel auf, daß der BMW nicht gesichert war. Ich konnte alle Türen öffnen, und das tat ich auch. Holte aber zuvor noch meine kleine Lampe aus der Tasche.
Die Tür schwang auf.
Der Fahrer kippte nur ein wenig zur Seite und mir nicht ganz entgegen, da der Sicherheitsgurt ihn hielt. Das hätte ich noch als relativ normal hingenommen, wäre nicht das leise Stöhnen gewesen, das mir zusammen mit seiner Bewegung entgegenwehte.
Da stimmte was nicht!
Ich schob den Mann wieder zurück und sorgte auch dafür, daß er in einer normalen Haltung sitzenblieb.
Erst dann richtete ich den Strahl der Lampe direkt auf sein Gesicht.
Lange zu zielen brauchte ich nicht, aber ich hatte das Gefühl, einen Schlag mit dem Hammer erhalten zu haben.
Ich wußte nicht, wie alt der Mann war, aber das Gesicht paßte nicht zu ihm.
Es war das eines Greises!
***
Eigentlich hätte ich nicht so überrascht sein müssen, ich war es trotzdem. Sogar die Lampe zitterte in meiner Hand, und ich registrierte auch meinen heftigen Schweißausbruch.
Der Kegel wanderte weiter zur Beifahrerseite hin, weil ich das Gesicht des zweiten ebenfalls sehen wollte. Es wurde von der Seite beleuchtet. Auf Grund der Haltung sah ich nur einen Teil des Gesichts, aber das reichte mir.
Das war keine normale Haut mehr. Auch sie zeigte sich bleich, war rissig und eingefallen.
Der Strahl wanderte wieder zurück zum ersten. Sein Gesicht konnte ich genauer sehen. Mit dem Aussehen einer Mumie konnte ich ihn nicht vergleichen, denn die Haut war nicht dünn. Sie war nur eingefallen und hatte sich an manchen Stellen regelrecht zusammengedrückt. Es hatten sich kleine Wellen bilden können, und wenn ich nach einem Vergleich suchte, dann fiel mir eine Hühnerkralle ein, denn dort sah die Haut ebenfalls kaum anders aus. Vielleicht wirkte sie frischer, denn diese hier war grau.
Ich drehte mich um.
Nein, da war niemand hinter mir. Dennoch glaubte ich, belauert zu werden.
Der Fahrer stöhnte leise. Es hörte sich an wie der Laut eines Menschen, der in seinen letzten Zügen liegt. Mit dem Stöhnen hatte er auch seinen Kopf sehr
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