Das Götter-Opfer
dunkel, und sie würde entscheidend sein, davon ging ich aus. Mit diesem Gedanken öffnete ich die Haustür…
***
Vor der Tür baute sich ein rechteckiger Vorsprung in Form einer Platte auf, die ich als ersten Stützpunkt benutzte. Die Außenleuchte hatte ich zuvor ausgeschaltet, weil ich mich als Zielscheibe mehr als unwohl fühlte. So ging ich teilweise ein in den Schatten der Türnische. Mein Blick fiel durch den Vorgarten. Bis auf die leisen Windgeräusche herrschte eine schon für mich unnatürliche Stille. Der kleine Garten sah kahl aus. Ebenso die Bäume an der Straße. Sie glichen Wächtern, die aus Gerippen bestanden.
Ich hatte überhaupt keinen Grund, so wachsam und vorsichtig zu sein, denn es gab keine Veränderung. Die Umgebung präsentierte sich wie an jedem Abend, wenn es dunkel war. Auch der Verkehr auf der Straße war nicht eingeschlafen. Er floß ruhig dahin. Die Lichter der Scheinwerfer glichen wandernden, hellen Augen, die irgendwann vom Grauschwarz der Nacht verschluckt wurden.
Einen exakten Plan hatte ich noch nicht entworfen Ich würde den Weg bis zum nächsten Bürgersteig gehen und mich dort umschauen. Dabei wollte ich auch die Straßenseite wechseln und hin zu den anderen Bäumen gehen, zwischen denen auch Fahrzeuge parkten.
Der Vorgarten war lückenhaft bewachsen, was besonders zu dieser winterlichen Zeit auffiel. Doch kein Strauch ragte so hoch, als daß sich jemand dahinter hätte verstecken können. Die Gewächse blieben in Buschhöhe, und auch die Zwergtannen reichten mir gerade mal bis zur Brust. Einen Baum hatte Lady Sarah vor ihrem Stadthaus nicht gepflanzt. Er hätte ihr zu stark die Sicht auf die Straße versperrt, und die wollte die Horror-Oma stets im Blick haben, da sie nun mal auch eine recht neugierige Person war.
Die Luft roch feucht. Es war nicht zu kalt, jedoch durch den Wind unangenehm. Hinzu kam der leichte Dunst. Es konnte sein, daß sich in den frühen Morgenstunden ein leichter Glatteisfilm auf die Straßen legte.
Als ich das Ende des Grundstücks erreichte, blieb ich stehen. Eine Frau kam von der linken Seite. Sie führte einen Hund an der Leine, der sich gar nicht freute, als er mich sah, denn er fing heftig an zu bellen. Die Frau zog ihn weiter und warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu.
Ich trat auf den Gehsteig. Die Richtung konnte ich mir aussuchen, und ich entschied mich dafür, nach rechts zu gehen. Ich entdeckte nichts, was auch nur den geringsten Verdacht in mir hätte wecken können, und trotzdem war es anders.
Nein, verzaubert kam mir die Gegend nicht vor. Sie schien mir trotzdem verändert. Mir schossen Vergleiche durch den Kopf, über die ich selbst nur lächeln konnte. Da kam mir die Umgebung vor, als befände sie sich auf dem Sprung, um sich Augenblicke später verändern zu können. Auf der Straße rollte ein Fahrzeug heran. Ich drehte mich um und trat zugleich hinter einen Baum, weil ich nicht vom Licht der Scheinwerfer geblendet werden wollte. Sie trafen mich nur schwach, erwischten aber den Stamm und malten ihn bleich an.
Dann war auch der Wagen weg.
Nicht weit entfernt stand ein Renault Clio. Klein und geduckt hatte er zwischen zwei Bäumen seinen Parkplatz gefunden. Da ich mich dem Clio von der Hinterseite näherte, konnte ich auch durch die Rückscheibe schauen, die zum Glück nicht so stark beschlagen war. Im Fahrzeug hielt sich niemand auf. Wenn das Haus unter Beobachtung stand – von wem auch immer –, dann ging ich davon aus, daß sich diese Personen in einem Auto aufhielten. Da war die gegenüberliegende Seite allerdings günstiger.
Ich überlegte, ob ich mich nicht zu auffällig verhalten hatte, denn so wie ich mich bewegte, tat das kein normaler Mensch. Deshalb ging ich schneller, behielt beide Seiten im Auge, stellte fest, daß nur wenige Autos draußen abgestellt worden waren. Unter anderem stand dort auch Janes Golf, an dem ich vorbeiging und schließlich mit schnellen Schritten die Seite wechselte.
Den gleichen Weg ging ich wieder zurück. Hier waren die Grundstücke der Häuser größer. Die Bauten selbst standen so weit in sie hineinversetzt, daß ich von der Straße her nur die Lichter sah. Die Mauern selbst waren eingetaucht im dunklen Grau des Abends. Hier in Mayfair war noch das konservative, bürgerliche und teilweise alte London zu Hause. Wer hier wohnte, hatte seine Ruhe und war trotzdem nicht weit von der City entfernt. Meine Schritte waren langsamer geworden. Auch nutzte ich den Schutz der Bäume aus.
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