Das Götter-Opfer
hat, wird auch das Götter-Opfer hier erscheinen.«
Es war gut, daß mich Esser aufgeklärt hatte. Ich wußte jetzt, wie der Hase lief. Nur stellte sich mir die Frage, was ich unternehmen sollte. Ihn daran hindern, den Sargtext vorzulesen oder es darauf ankommen lassen?
Ich entschied mich innerhalb eines Augenblicks und würde es darauf ankommen lassen.
Ja, so sollte es sein, denn er hatte nur von Selima gesprochen. Von Fatima, in diesem Spiel so etwas wie ein Joker, wußte er nichts. Darauf setzte ich meine Hoffnungen.
»Ich bin gespannt«, sagte ich.
Im ersten Moment sah er so aus, als wollte er mir nicht glauben. »Du… du stellst dich tatsächlich?«
»Natürlich. Deshalb bin ich hier.«
»Und nimmst dabei deinen Tod in Kauf?«
»Auch das!«
Die letzte Antwort hatte ihm gereicht. Mochte er mich auch für verrückt halten, das war mir egal, und ich freute mich schon darauf, was passieren würde.
Er las. Er flüsterte. Nur sekundenlang hielt dieses Flüstern an, denn sehr bald sprach er schon lauter. Seine Stimme klang kehlig. Ich hörte die fremden Worte, ohne sie verstehen zu können. Und ich merkte auch, wie er immer stärker unter diesen Druck geriet. Er sprach hektischer, Körperbewegungen begleiteten den Text. Aus seinem Mund drang hin und wieder ein tiefes Stöhnen, und er konnte den Blick nicht von der übergroßen Statue abwenden.
Auch ich schaute sie mir an.
Noch bewegte sie sich nicht. Sie blieb so, wie sie geschaffen war. Auf dem Kopf leuchtete das rote Haar, das Maul stand weiterhin offen. Bereit, etwas auszuspeien oder zu schlucken. Nichts bewegte sich darin, aber die Stimmung veränderte sich.
Etwas näherte sich. Etwas Fremdes und zugleich Unheimliches. Es war nicht sichtbar, aber es kroch heran und schien in tausend Winkeln und Ecken gelauert zu haben. Es kam wie ein böser Fluch, der sich in meiner Umgebung verteilte, und er erreichte nicht nur mich, sondern auch die Diener des Totengotts.
Sie hatten sich bisher nicht gerührt. Das war nun vorbei. Ihre Körper zuckten. Die Falten der Gewänder bewegten sich beim Aufrichten. Es sah seltsam aus. Körper schienen aus dunklen Säcken zu kriechen. Gesichter glitten hinein in das künstliche Licht, oder das Licht glitt über sie hinweg. Sie sahen bleich aus. Ausgemergelt und zugleich schattig. Nur in ihren Augen stand der Wille wie festgeschrieben, es allen anderen zu zeigen und den Götzen auf seinem Weg zu begleiten.
Sie standen auf, während Kalim Esser weiterhin die alten Sargtexte las.
Mich interessierte er im Moment nicht. Mein Blick galt der Götterstatue. Noch hatte Esser die Texte nicht bis zum Ende gelesen, doch er näherte sich dem Finale. Er war selbst unter den Einfluß der Worte geraten, er regte sich auf. Er sprach hektisch, holte kaum Luft und flehte den bösen Geist des Totengotts förmlich an.
Ich hatte meine rechte Hand in die Tasche geschoben. Die Finger glitten wieder über die bestimmte Stelle des Kreuzes hinweg. Tatsächlich war das Ankh aktiviert worden. Für mich ein Zeichen, daß sich der Geist des Seth allmählich näherte.
Noch ließ ich das Kreuz stecken. Aber es gab mir Gewißheit, daß ich nicht allein stand. Ich besaß einen Helfer, denn der würde nötig sein, weil ich Essers Helfer als Feinde ansehen mußte.
Sie waren alle aufgestanden. In ihren braunen Kutten wirkten sie wie Wesen, die aus alten Gräbern gekrochen waren und nur noch für eine bestimmte Zeit lebten.
Waren es Gestalten aus der Vergangenheit, oder hatte Esser sie in der Gegenwart auf seine Seite gebracht?
Er schrie die Statue an.
Letzte Worte, beinahe schon mit Verzweiflung gerufen, die dann nicht mehr zu hören waren, als er den gesamten Text gelesen hatte. Er taumelte. Die Rufe der Beschwörungsformeln hatten ihn angestrengt. Dann löste sich ein Schrei aus seinem Mund.
Ich starrte wieder zum Götzen hoch.
Verdammt, Kalim Esser hatte es trotz allem geschafft. Auch ich hatte ihn daran nicht hindern können. Es war ihm gelungen, den Geist des Seth zu beschwören, und der hatte so gehandelt, wie man es von ihm verlangte.
Er steckte jetzt in der Statue, und Seth lebte!
Das hatte auch Kalim Esser festgestellt. Sein triumphaler Schrei gellte in meine Ohren. Zugleich fingen die Augen des Götzen an zu leben. Wenn man von einem hellgelben Feuer sprechen kann, dann war das hier der Fall. Woher dieser Ausdruck oder diese Farbe kam, war für mich nicht zu sehen. Aber sie füllte die Augen aus. Sie war das Leben dieses Götzen, der danach
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