Das Götter-Opfer
seine Bemühungen. Er hielt uns noch fest, und dabei blieb es. Wir wanderten nicht mehr dem Maul entgegen. Daß er satt war, daran glaubte ich nicht. Sein Verhalten mußte einen anderen Grund haben, den ich noch nicht erkannte.
Ubergangslos ließ er uns fallen!
Auch wenn wir nicht aus sehr großer Höhe nach unten fielen, es reichte trotzdem, sich einen Fuß zu verstauchen, wenn man unglücklich aufkam.
Bei mir war das zum Glück nicht der Fall. Ich konnte den Aufprall etwas abfangen.
Nicht so Esser.
Er lag auf der Seite und hatte das rechte Bein angezogen, um seinen Knöchel zu halten. Er war auch der einzige, der wehleidig herumjammerte, alle anderen taten und sagten nichts. Sie hatten nur Augen für etwas Bestimmtes, das sich im Hintergrund dieser Welt bewegte und auch den lebenden Götzen so hatte reagieren lassen. Für mich war es noch nicht zu sehen. Ich schnappte mir auch zuvor die Beretta, dann richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf und beeilte mich, aus der Reichweite der Statue zu gelangen.
Im Hintergrund sah ich eine Bewegung.
Dort kam jemand.
Eine Person, eine fast nackte Frau.
Selima, das Götter-Opfer!
***
Ich jubelte nicht, aber ich wußte, daß sie genau zur rechten Zeit gekommen war. Sie hatte mir praktisch das Leben gerettet oder mich zumindest vor schlimmen Verletzungen bewahrt.
Diesmal schritt sie wie eine Königin und bewegte sich nicht wie ein Opfer. Sie sah aus wie Selima, die nur diesen Gürtel mit den beiden Längsstreifen an der Vorder- und Rückseite trug. Ich aber wußte, daß zwei Seelen zumindest in ihr lebten. Auch Fatima hatte eingegriffen und sich ihres Körpers bedient.
Selima näherte sich dem Götzen. Sie ging dabei weder schneller noch langsamer. Sie behielt ihre Schritte bei und geriet immer mehr in das zittrige Licht. Ich war in der Lage, auf ihr Gesicht schauen zu können.
Obwohl ich den Ausdruck als starr empfand, sah ich trotzdem das Lächeln auf ihren Lippen. War es das Lächeln der Siegerin. Besaß sie jetzt die Kraft, sich auch gegen den Geist des Seth durchzusetzen? Es war zu hoffen. Das galt nicht nur für meine Seite.
Kalim Esser mußte ähnliche Gedanken verfolgen. In ihm rumorte es. Nur konnte er die Dinge für sich und seine weitere Zukunft nicht als positiv ansehen.
Mit einer schon übermenschlichen Kraft- und Willensanstrengung kam er auf die Füße. Seine Verletzung behinderte ihn zwar, doch er störte sich nicht daran.
Er zwang sich dazu, auf Selima zuzugehen. Er wollte sie stoppen. Sie sollte ihren Einfluß nicht ausüben können, und ich hörte ihn laut schreien.
»Weg! Weg…!«
»Esser!« schrie ich ihm nach, »nicht!«
Er hörte nicht. Was er vorhatte, war mir unklar. In seinem Kopf mußte einiges durcheinander sein. Er brüllte noch einmal laut auf, humpelte und sprang weiter und geriet so immer dichter an Selima heran. Er würde in ihren Bannkreis geraten, und ich wußte, daß es für ihn tödlich enden konnte.
Sie war so weit an mich herangekommen, daß ich direkt in ihre golden schimmernden Augen sah. In ihr steckte die mächtige Kraft, und sie nutzte sie voll aus.
Plötzlich blieb Esser stehen. Das passierte mitten aus der Bewegung heraus. Er riß noch seine Arme hoch. Der Schutz reichte nicht aus. Er war bereits in den Bann der goldenen Augen hineingeraten und damit in die Aura der Vernichtung.
Daß Selima aus zwei unterschiedlichen Personen bestand, bekam ich mit eigenen Augen zu sehen.
Wie schon in der U-Bahn-Station starb auch hier ein Mensch auf eine sehr schnelle Art und Weise. Aber trotzdem war es ein anderer Vorgang. Esser zeigte mir sein Profil. Während er von der goldenen Aura umhüllt wurde und sie ihn zerstrahlte, alterte er zugleich innerhalb von Sekunden.
Das war Fatimas Werk!
Ja, der Körper löste sich auf. Aber er blieb noch als schimmernder Umriß sichtbar stehen, und sein Gesicht alterte dabei wahnsinnig schnell, bis es das Aussehen eines Greises angenommen hatte. Ein uralter Mann mit schlohweißen Haaren, einer dünnen, sehr faltigen Haut, die sein Gesicht aussehen ließ wie ein Totenschädel.
Auch er zerfiel.
Wie Regen rieselte der Staub oder die Asche herab und blieb dort liegen, wo Kalim Esser einmal gestanden hatte. Nichts mehr sonst gab es von ihm. So konnte Selima/Fatima ihren Weg fortsetzen.
Für mich hatte sie keinen Blick. Der Götze war wichtiger. Bei Selima drückte sich die Vergangenheit hoch, in der sie so Schreckliches durchgemacht hatte.
Diesmal nicht.
Sie war dabei, ihr Trauma
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