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Das göttliche Dutzend

Das göttliche Dutzend

Titel: Das göttliche Dutzend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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auf die glänzende Klinge blickte, die über ihm hing. Unter seinem Kopf stand ein Korb, der mit dunklem Fruchtsaft bespritzt war, um der Sache ein realistischeres Ambiente zu verleihen. Die Wächter hielten seine Glieder so auf dem Block fest, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Schon wurde gejubelt.
    In Zorns Herz gingen sämtliche Alarmglocken los, als sein Blick auf den links in die Schiene geklemmten Bremsklotz fiel. Was hatte er da zu suchen? Wenn das Ding da blieb, mußte die Klinge einen Fingerbreit vor seinem Hals steckenbleiben. Panik ergriff Besitz von ihm. Er wand sich und wollte die Bremse herausziehen, um sicherzugehen, daß hier und heute der erste Tag seines Lebens nach dem Tode anbrach.
    Der gefiederte Kopfschmuck der Wachen flatterte hin und her, als sie ihn fester auf den Block drückten. Dann griff der wuchtige, bierbäuchige Brutalinski neben ihm nach dem Bremsklotz und zog ihn heraus. In nur einer Sekunde hatte Syffel ihn in die Tasche gesteckt.
    Ganz in der Nähe, hinter der Statue einer fetten Mausbiberratte, gluckste der echte Wächter entzückt, als der Bierkrug in seiner Hand aufleuchtete und sich von selbst füllte. War wirklich nett von dem dicken Kerl gewesen, ihm für seine Uniform den Zauberkrug zu geben.
    Das Publikum auf dem Platz kochte und jubelte laut, als der Totengräber auf die Bambusguillotine zuschritt und nach dem Zugseil griff. Er löste es von der Klampe und spürte sofort das tödliche Gewicht der Klinge. Das Seil führte über ein primitives Rad durch ein Loch zur Klinge. Er brauchte nur loszulassen, und die Schwerkraft erledigte den Rest.
    »Im Sinne des Festes, das wir heute feiern wollen«, rief der Totengräber die überlieferte Formel, »löst das Seil!«
    Zorn machte sich bereit, als er sah, daß das Seil über der Klinge an Spannung verlor. Ein einzelner Sonnenstrahl glitzerte auf ihr, und sie raste immer schneller auf ihn zu. Sie warf kreischende Funken auf den Schienen und dürstete nach seinem Hals. Unaufhaltbar zischte sie auf ihn zu. Sein Herz schlug begeistert höher, nun, da er mit einem Bein in der Ewigkeit stand.
    Das Publikum quietschte auf, als die Klinge knarrte und plötzlich anhielt.
    »Scheiße!« rief Zorn, der auf die einen halben Fingerbreit über seinem Hals zitternde Klinge starrte. »Was ist los? Was ist schiefgegangen? Warum bin ich nicht … Ach.« Er starrte angeekelt einen dicken Knoten an, der in dem Loch feststeckte, durch den das Seil führte.
    Der Totengräber rieb sich aufgeregt die Hände. »Es tut mir ja so furchtbar leid. Das hätte nicht passieren dürfen. Niemals. Da müßte eigentlich eine Bremse in der Schiene stecken. Ich … Ich kann mir nicht erklären, wohin sie verschwunden ist. Ich bin nur froh, daß der Sicherheitsknoten da war. Ich … Ooooh!« Da hörte er das Jubeln der Menge. Mit einem Schädelgrinsen schritt er zur Vorderseite des Tempels und machte eine tiefe Verbeugung.
    Zorn fauchte ernüchtert, als die Wächter ihn losließen, die Klinge hochzogen und sicher festbanden. »Wie konntest du das zulassen«, knurrte er, stupste gegen Syffels Brust und ging mit ihm zur Rückseite des Tempeldachs. »Du hattest es mir versprochen!«
    »Ja, ja. Schau mal …« Syffel zuckte zusammen, als er sich rückwärts auf den mehrere hundert Fuß tiefen Abgrund zubewegte. »Laß dich von so einem kleinen Rückschlag nicht unterkriegen. Ich hab’s versprochen, und ich werd mich daran halten, in Ordnung?«
    »Heute morgen noch«, keifte Zorn ihn an und schritt zügig über das Tempeldach. »Denk nur an all die Seelen, die ich gerade retten könnte!«
    »Ja, ja. Ich kümmere mich darum. Gib mir nur etwas mehr …«
    Plötzlich fand Syffels Fuß keinen Boden mehr unter sich. Instinktiv griff er nach Zorns herrisch ausgestrecktem Arm. Unvermittelt wurde den beiden klar, daß der Tempel nicht mit dem üblichen Sinn für Symmetrie gebaut worden war, den man von Gebäuden dieser Art erwartete. Er war an drei von vier Seiten seiner pyramidösen Konstruktion mit Stufen versehen, nicht aber auf der Rückseite. Darauf hatte man aus Kostengründen verzichtet. Da ohnehin nie jemand etwas anderes als die Vorderseite sah, hatten die Axoloten auf der Rückseite keine Stufen angebracht.
    Es ging einhundertundfünfzig Fuß senkrecht nach unten.
    Zorn stürzte schreiend ab, und Syffel nahm sich vor, seine Reflexe in Zukunft besser zu beherrschen. Wenn er erst nachgedacht und dann gehandelt hätte, hätte er gewußt, daß er nur ein paar Fuß in

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