Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das göttliche Dutzend

Das göttliche Dutzend

Titel: Das göttliche Dutzend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
Vom Netzwerk:
Totengräberparade eingeführt. Jedermann bekam eine Einladung zur rituellen Opferung und zum Tanz auf dem Tempel. Niemand hatte eine Ahnung, was ihn erwartete.
    Die Menschenmassen versammelten sich auf dem Platz vor dem Tempel und beglotzten neugierig die Bambuskonstruktion mit der aufgehängten Klinge, über deren Funktion sie sich im unklaren waren. Von Trommelwirbel begleitet zerrten die Totengräber das kreischende junge Mädchen heraus und warfen es auf den Steinblock. Die Trommeln wurden immer wilder, dann löste man mit einem freudigen Aufschrei des Obertotengräbers und einem schmerzvollen Wimmern des Mädchens die entsetzlich scharfe Klinge. Ganz Axolotl schaute mit offenem Mund zu, wenn sie durch die senkrechten Schienen nach unten glitt, unaufhaltbar beschleunigte und auf den seidenweichen Hals der Jungfer zuraste, danach gierend, ihr das junge Leben zu entreißen …
    Erst ganze drei Minuten nach dem dumpfen Stillstand der Klinge wurde den Zuschauern klar, daß das Mädchen noch atmete. Die Totengräber zogen die Klinge wieder hoch und nahmen den Bremsklotz aus der Schiene, um ihn für jedermanns Augen hochzuhalten. Tja, man konnte das Mädel doch nicht wirklich opfern, oder? Es hätte doch allen das Fest vermiest. Vor allem ihren Eltern.
    Dank des dekadent-ausschweifenden Festes, das sich dem Spektakel anschloß, war die Totengräberparade schnell zu einer festen Einrichtung im axolotischen Veranstaltungskalender geworden.
    »Kann’s kaum noch erwarten, daß es vorbei ist«, sagte Xxoe mit strahlendem Blick, als sie zum Tempel schaute. »Das Fest danach ist immer sehr witzig. Dieses Jahr möchte ich zwei Portionen Schokoladenpudding. Die habe ich verdient.«
    »Und das hier hast du auch verdient«, drängte Syffel mit einem Hinweis auf den Bierkrug. »Trink.«
    Xxoe nahm einen großen Schluck, verdrehte die Augen und spuckte aus. Sie versprühte das Bier in einem feinen Nebel über die Gardinen. »Bäh! Schmeckt das fies!« beschwerte sie sich. »Du willst mich wohl vergiften?«
    »Nein, nein«, widersprach Syffel panikerfüllt. »Der Geschmack ist, äh, Gewöhnungssache.« Er machte eine Bewegung mit dem Handgelenk, der Krug leuchtete auf, und er sagte: »Da, probier das mal. Das könnte eher deinem Geschmack entsprechen.«
    Xxoe roch mißtrauisch an der moussierenden Flüssigkeit.
    »Es wird dir gut tun«, redete Syffel ihr zu, wobei er ganz und gar vertrauensunwürdig lächelte. »Mach schon.«
    Sie nippte vorsichtig daran, rollte die Flüssigkeit im Mund umher und schaute nachdenklich drein. Dann schluckte sie. Syffel atmete erleichtert aus.
    »Gar nicht so schlecht«, mußte Xxoe widerwillig zugeben. »Geht’s vielleicht mit noch ein bißchen mehr Ingwer?«
    Syffel drehte wieder sein Handgelenk und verstärkte den Geschmack ein wenig. Er war außerdem so frei, ein paar Prozent Alkohol mehr hinzuzufügen. Xxoe nippte und schluckte. Sie hustete, als das Zeug in ihrem Rachen brannte.
    »Puh!« keuchte sie. »Das ist lecker!«
    Die kommandierende Gottheit des Bieres neigte andächtig ihr Haupt und strahlte beim Anblick der saufenden Kleinen.
    »Noch eins?« fragte er kurz darauf, als Xxoe sich mit dem Handrücken den Mund abwischte. Sie lächelte etwas schief und nickte.
    Syffel wurde viel ruhiger, als er lässig einen zweiten Krug mit achtzehn Prozent Alkohol aus dem Handgelenk schüttelte. Wenn sie ein paar davon intus hatte, würde sie vor dem Nachmittag niemand wecken können.
    Ob die Totengräber wohl ein bereitwilliges Ersatzopfer fanden? Syffel lächelte still vor sich hin. Die Antwort darauf kannte er genau.
     
    Die Gestalt in der langschößigen schwarzen Toga mit dem dazu passenden Zylinder hob ihren Stab, wirbelte ihn herum und zerschmetterte Axolotls morgendliche Stille.
    »Ja, ja«, rief eine Stimme aus dem Inneren der Hütte, als der Stab Dellen in die Tür schlug. »Ich komm ja schon!«
    Die Tür wurde aufgerissen, ein besorgt aussehender Mann kam herausgeschossen und zog sie hinter sich zu.
    »Ich bin gekommen«, sagte der Totengräber und ließ den Stab rotieren.
    »Sehr schön. Würde es Ihnen wohl was ausmachen, noch eine Runde um den Block zu drehen? Wir sind noch nicht so weit«, stammelte der besorgt aussehende Mann, der noch unrasiert und deutlich nervös war.
    »Es ist der verabredete Zeitpunkt«, stellte der Totengräber fest und blickte Xxoes Vater von oben herab an.
    »Das weiß ich auch! Verabredete Zeit, verabredeter Ort, aber keine verabredete Tochter.«
    Der

Weitere Kostenlose Bücher