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Das göttliche Dutzend

Das göttliche Dutzend

Titel: Das göttliche Dutzend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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Ecke gestürzt kam. Er hätte beinahe losgeschrien. Schoysal kam ihm zuvor.
    »Kiesela!« rief er, als die Stalagmotte in Sichtweite getrabt kam, Anlauf nahm und ihm überglücklich in die Arme sprang. Zwölf Beine traten gegen seine Brust und warfen ihn um. Mit einem kräftigen Ruck richtete er sich wieder auf, schnappte sich einen Stein und kratzte damit zärtlich den Bauch der grotesken Kreatur. Sekunden später knirschte Kiesela genüßlich mit den Zähnen.
    »Du Schwein«, grinste Schoysal den zitternden Nabob an. »Da hast du mich aber schön reingelegt. Du hattest sie die ganze Zeit.«
    »Ach wirklich?« fragte Nabob, bevor er mit etwas mehr Selbstvertrauen hinzufügte: »Natürlich hatte ich sie. Äh, ich wollte erst prüfen, ob ich dir noch vertrauen kann. Also, was ist jetzt mit deinem Teil der Abmachung?« Er deutete auf das Päckchen.
    »Ja, gewiß«, grunzte Schoysal und flüsterte krächzende Anweisungen in Kieselas Ohren. Sie gurgelte eine Bestätigung und rannte mit überwältigendem Enthusiasmus zum gegenüberliegenden Ufer.
    Und während Splitterfontänen durch die trübe Luft Hölliens fegten, wickelte Schoysal die rätselhafte Akte aus. Feiner Dunst strömte an ihr herab, als er die Umschlagseite vorsichtig mit einem Stein hochhob. Selbst aus dieser Entfernung berührte die Kälte noch seine Klauen und damit auch sein Gedächtnis. Sie war ihm beunruhigend vertraut. Er hatte nur einmal zuvor ein vergleichbares Frösteln erlebt: bei einem höchst illegalen Ausflug in die Talpen, eintausend Fuß durch massiven Fels über ihnen.
    »Und? Schaffst du’s?« drängte Nabob. »Weißt du, was es bedeutet?«
    Schoysal streichelte sein Kinn und knurrte nachdenklich. »Es könnte länger dauern«, grunzte er schließlich, ohne seine Katzenaugen von der kantigen Schrift, den verzierten Rändern und den skizzenhaften Darstellungen der heiligenscheintragenden Gestalten auf den Seiten loszureißen.

 
IN FALSCHEN KLAUEN
     
     
    Mietprediger Gottfried Zorn lag wie ein zerknüllter Haufen auf dem Boden der Schlucht und schüttelte den Kopf. Zu seiner großen Verärgerung war er vor ein paar Minuten wieder zu sich gekommen. Seine augenblickliche Lage verfluchend sah er einige hundert Fuß über sich einen schmalen Streifen Tageslicht sowie die Überreste der verrotteten Brücke, die vor kurzem unter ihm zusammengebrochen war.
    Es war wirklich ungerecht. Wie hatte er es bloß überleben können? Und so schmerzfrei? Er schüttelte erneut den Kopf und setzte sich hin. Seine Blicke huschten über die Unebenheiten an den Wänden der Schlucht. Er suchte nach einer günstigen Stelle, um nach oben zu klettern. Er konnte nicht hier unten bleiben. Er würde verhungern. Wenn er nicht vorher an akutem Frust starb. Die vielen Seelen, die er in diesem Augenblick retten könnte! Er winselte erbärmlich.
    Ein paar Sekunden lang dachte er darüber nach, ob er einfach nur dasitzen, nichts tun, abmagern und sterben sollte. Würde man es als Selbstmord werten? Er entschied, das Risiko ewiger Verdammnis nicht einzugehen, um es herauszufinden.
    Nichts da, dachte er. Er mußte rauf und sich davon machen. Er hatte keine Wahl. Zu viele Seelen warteten darauf, die Frohe Botschaft von ihm zu hören. Er konnte nicht weiter hier unten in Selbstmitleid baden. Er mußte hinauf und einen anderen Zugang zur Unendlichkeit finden.
    Er stand unsicher auf und stellte den linken Fuß an die eine Seite der Schlucht, den rechten an die andere und richtete sich darauf ein, die zweihundert Fuß wie in einem Schornstein nach oben zu klettern. Er atmete tief ein, machte sich bereit und schrie laut auf, als beide Füße bis an die Knöchel im Fels verschwanden. Klaustrophobische Panik ergriff Besitz von ihm, packte ihn an der Luftröhre und raubte ihm den Atem. Er hatte das Gefühl, daß ihm die Felswände immer näher kamen, ihn einengten und erdrückten.
    An all den vielen Orten, wo er verschiedene lukrative Versionen der Frohen Botschaft verbreitet hatte, war er nie in einem so engen Loch gewesen. Kein Wunder, daß er sich nicht auf seine Sinne verlassen konnte.
    Es war nicht angenehm, plötzlich festzustellen, daß man hysterische Angst vor dem Aufenthalt in zweihundert Fuß tiefen, extrem engen ausweglosen Schluchten hatte. Besonders dann, wenn man sich gerade tatsächlich in einer zweihundert Fuß tiefen, extrem engen ausweglosen Schlucht befand.
    Gerade als er sich endgültig von seinen geistigen Fähigkeiten verabschieden wollte, um unaufhaltsam in

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