Das Gold des Bischofs
»Aber jetzt sind wir jedenfalls alle hier, und wenn wir das Gold noch vor Einbruch der Dunkelheit sicher in die Abtei bringen möchten, sollten wir allmählich mit dem Graben anfangen. Ich will nicht die Nacht hier verbringen.« Burchard erschauderte und sah sich unbehaglich um. »Nicht hier in Finchale.«
Roger ging als Erster durch die Furt. Das Wasser war so eisig, dass Geoffrey davon Kopfschmerzen bekam, und bis er die seichten Stellen am gegenüberliegenden Ufer hinter sich gelassen hatte, konnte er seine Beine kaum mehr fühlen. Er zitterte und stampfte mit den FüÃen in dem vergeblichen Bemühen, sich aufzuwärmen, während er Roger die Uferböschung hinauf folgte und über die Wildnis blickte.
Roger hatte Recht, wenn er Finchale eine trostlose Einöde nannte. Es lag weit entfernt von jeder Siedlung und sah aus, als wäre es vom Anbeginn aller Zeiten ein Reich der verkümmerten Bäume, sumpfigen Teiche und dichten Gestrüpps. Abgesehen von gelegentlichem Flügelschlag, wenn eine Ente oder ein Teichhuhn aufflogen, und vereinzelten Vogelrufen war es ringsherum still. Geoffrey verstand nun, warum sich Geschichten von Schlangen um diese Gegend rankten: Sie verströmte eine Trostlosigkeit, als wäre dieser Ort nicht für Menschen bestimmt.
»Nach rechts«, kommandierte Burchard, noch bevor er sich die gefrorenen Hände rieb und dann in der Gürteltasche nach einem Stück Pergament wühlte. »Fangen wir an. Ich habe gestern Abend Kopien der beiden ersten Karten angefertigt und dann die Angaben von Jarveauxâ Plan ergänzt.«
»Warum die Verzögerung?«, wollte Geoffrey wissen. »Warum habt Ihr sie nicht vorher schon kopiert?«
Burchard seufzte. »Ist das alles, was Ihr tun wollt? Fragen stellen? Wenn Ihr es unbedingt wissen möchtet: Ich musste warten, bis der Prior mal sein Amtszimmer verlieÃ, bevor ich es ungesehen tun konnte. Und dann musste ich noch diese Sache mit Gamelo klären.«
»Habt Ihr seinen Mörder ausfindig gemacht?«
Burchard schüttelte den Kopf. »Aber es kann niemand aus der Abtei gewesen sein. Wir haben zur Zeit keinen grünen Nieswurz, weil unser Heilkundiger nichts davon hält, Kräuter des Saturns im Februar zu benutzen.«
»Der Apotheker hält einen kleinen Vorrat«, wandte Geoffrey ein.
Der Cellerar nickte. »Aber er hat alles an Alice Jarveaux verkauft.«
»Und was schlieÃt Ihr daraus?«, fragte Geoffrey. »Dass sie Gamelo und seine Freunde bewogen hat, letzte Nacht in den Wäldern am Fluss dieses Gift zu nehmen?«
»Das muss Cenred beurteilen. Ich schlieÃe daraus nur, dass ich Recht hatte: Gamelo wurde von niemandem aus der Abtei ermordet.«
Das war eine recht armselige Beweisführung: Nur weil die Abtei keinen eigenen Vorrat an grünem Nieswurz besaÃ, hieà das noch lange nicht, dass kein Mönch als Täter in Frage kam. Geoffrey wollte auf diesen Umstand hinweisen, aber Roger verlor die Geduld.
»Wen kümmert das denn?«, sagte er, griff nach Burchards Karte und hielt sie neben die eigene, um beide zu vergleichen. »Wir können auch später in der Schenke noch über Gamelo schwatzen, wenn wir unseren Erfolg feiern. Jetzt sollten wir erst mal den Schatz heben. Ich hab genauso wenig Lust wie Burchard, hier drauÃen zu übernachten.«
Er und der Cellerar zogen einander gegenseitig an den Karten und versuchten, jeweils auf Kosten des anderen mehr zu sehen. Geoffrey beteiligte sich nicht an dem Gerangel. Er saà auf dem Stamm eines umgestürzten Baumes und versuchte, sich Wärme in die nassen Beine zu massieren.
»Da ist die Eiche«, erklärte Burchard und wies auf einen groÃen, knorrigen Baum auf einer Anhöhe, dem man sein Alter ansah. Irgendwann während seines langen Lebens hatte ein Blitz den Stamm getroffen und in zwei Teile gespalten. Wie durch ein Wunder hatte der Baum überlebt, und die winterlich kahlen, aufwärts strebenden Zweige wirkten recht gesund. Geoffrey dachte, dass dieser Baum noch lange dort stehen würde, wenn er längst in seinem Grab lag.
»Und da sind die beiden Wasserläufe und der Weg«, stellte Roger fest und ging in die angezeigte Richtung. »Also befindet sich der Schatz fast auf halbem Wege dazwischen und ein wenig weiter nach Norden.«
»Wo ist Norden?«, erkundigte sich Burchard. »Und wie finden wir heraus, was die halbe Strecke
Weitere Kostenlose Bücher