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Das Gottschalk-Komplott

Das Gottschalk-Komplott

Titel: Das Gottschalk-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brunner
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Gründe waren so vielschichtig wie ein vergrößerter Querschnitt vom Aufbau eines industriellen Plastikmaterials. Rein oberflächlich ließ sich feststellen … Aber was hatten Oberflächlichkeiten für einen Sinn? Diablos Ruf beruhte auf der Fähigkeit, in eine gegebene Situation tiefer Einblick nehmen zu können als die meisten Menschen es ohne Hinzuziehung eines Computers fertigbrachten. Ein atavistisches Talent, gewiß, vergleichbar mit der Befähigung, sechsstellige Zahlen im Kopf zu multiplizieren, wie sie nützlich sein konnte, wenn man zu bequem war, um nach den Tabellen zu suchen, aber in einem Kontext wie in Blackbury war es in der Tat verdammt von Nutzen gewesen.
    Aber außerhalb, sozusagen draußen in der weiten Welt …?
    Er schüttelte den Kopf. Über seine persönliche Zukunft Mutmaßungen anstellen zu wollen, war aussichtslos. Er konnte Vergleiche zu Menschen ziehen, die in der Vergangenheit – zumeist in fernerer Vergangenheit – ähnliche Heimsuchungen erlitten hatten, aber mehr nicht. Zum Beispiel konnte er sich mit einem aus Nazi-Deutschland vertriebenen jüdischen Physiker vergleichen, oder mit einem jener südafrikanischen Intellektuellen, die in neueren Krisenzeiten von den Afrikanern deportiert worden waren, aber all das führte zu nichts. Bis zum heutigen Morgen war er ein zuverlässiger, kooperativer, sogar bewunderter und respektierter Verfechter der Ideale gewesen, für die der Name Blackburys stand. Aufs Wort nicht einmal eines der ansässigen Knieblanks-Genetiker, sondern eines stinkigen ausländischen Weißfisches hinausgeworfen zu werden, das war ganz einfach mehr, als sein Geist ohne weiteres verarbeiten konnte.
    Seine Hände ballten sich mit solcher Urplötzlichkeit zu Fäusten, daß ein gedämpftes Klatschgeräusch ertönte. Für einen Augenblick dominierte Lust nach Rache sein Denken. Er war ein Meister-Propagandist; seine Tätigkeit bei der bedeutungslosen TV-Anstalt Blackburys hatte weit über die Reichweite der Sendeantennen hinaus Widerhall gefunden, seine Beiträge waren stets von wenigstens einem halben Dutzend Schwarzen gehörigen, von Schwarzen finanzierten Relais-Satellitenstationen wiedergesendet worden. Mit seinen während eines längeren Zeitraums erworbenen intimen Kenntnissen des Privatlebens von Bürgermeister Black und seinesgleichen an anderen Orten konnte er aus der gesamten Idee der Negro-Enklaven einen schlechten Scherz machen. Das würde kaum eine Woche beanspruchen.
    Doch seine Rachegelüste wichen so schnell, wie sie ihn befallen hatten. Es überforderte sein Anpassungsvermögen, jetzt noch sein Mäntelchen in den Gegenwind zu hängen. Im Moment allerdings bereute er es fast, so dogmatisch mit dem Bundesbeamten umgesprungen zu sein, der die Aufgabe hatte abwickeln müssen, ihn aus dem Geltungsbereich der schwarzen Rechtsprechung zu geleiten. Sicherlich wäre es vernünftiger gewesen, erst einmal in aller Ruhe über alles nachzudenken, sich vielleicht nach einer Tätigkeit außerhalb Nordamerikas umzuhören …
    Aber passiert war passiert. Er hatte darauf bestanden, eine offizielle Angelegenheit mit buchstabengetreuen Verfahren nach dem Vertrag Blackbury/Washington aus seiner Abschiebung zu machen, obschon allein die Bezeichnung unverkennbar bezeugte, daß selbiger Vertrag nichts anderes war als ein Anachronismus. Nach wie vor war dies ein Weißfischland, aber Washington bereits seit Jahrzehnten eine Stadt mit schwarzer Mehrheit, und sie mit der Bundesregierung gleichzusetzen, besaß kaum noch bloßen Symbolwert – die wirkliche Macht ballte sich an den verschiedenen verstreuten Zentren, die im Laufe der Kriegspsychose in den 90er Jahren entstanden waren, vorwiegend tief im Süden, wo man sich darauf verlassen konnte, daß Mr. Weißfell bei der allerkleinsten Gefahr einer Knieblanks-Rebellion sofort mit der Knarre angerannt kam. Wer sollte das besser wissen als ein Mann, der diese Fakten in seinen TV-Beiträgen oft genug ausgeschlachtet hatte?
    Es wimmelte in seinem Bewußtsein von neuen Möglichkeiten. Schluß war noch lange nicht mit ihm, und wie könnte auch jemand damit rechnen? Zehn Jahre lang hatte er seine Gaben ausgefeilt; er konnte sie nicht einfach ausschalten wie einen TV-Set. Möglicherweise bestand Bürgermeister Blacks ärgste Grausamkeit, die er ihm angetan, daraus – abgesehen davon, ihn auf das Wort eines Weißfischs hin auszubürgern –, daß er ihn ums Verwertungsfeld für seine Ideen beraubt hatte. Er fühlte sich wie ein

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