Das Grab ist erst der Anfang: 12. Fall mit Tempe Brennan
beiden ergab eine eindeutige Identifikation.
Am 4. September 2005 kam 287JUL05 auf ein Regal im Lagerraum des CCME. Seitdem lag er dort.
Okay, ML. Mal sehen, wie du dich geschlagen hast.
Zuerst ordnete ich die Schädelfragmente so an, dass das Ganze aussah wie ein explodierter Totenkopf. Dann legte ich die restlichen Knochen in anatomisch korrekter Anordnung zurecht.
Ich begann mit der Geschlechtsbestimmung, betrachtete zunächst den Schädel, dann das Becken.
Das rechte Stirnbein verbreiterte sich am unteren Rand, über der Augenhöhle, zu einem breiten, gerundeten Wulst. Das Hinterhauptbein zeigte genau in der Mitte des Schädels einen deutlich ausgeprägten Muskelansatz. Der Warzenfortsatz, ein Knochenstück, das hinter der Ohröffnung nach unten reicht, war beeindruckend.
Das Becken zeigte, nachdem ich es zusammengefügt hatte, einen kräftigen Schambereich mit einem spitzen Winkel unterhalb der Stelle, wo die beiden Hälften sich vorne berührten. Links und rechts wölbten sich die beiden Seiten nach oben hin zu einer tiefen, schmalen Kerbe unterhalb der Hüftschaufel.
Okay. Einverstanden. 287JUL05 war männlich.
Ich notierte mir das und wandte mich dann der Abstammung zu.
Das war schwieriger, weil kaum noch Gesichtsarchitektur vorhanden und der Schädel zu beschädigt war, um noch aussagekräftige Maße zu liefern. Dennoch sah ich, dass die Schädelform eher gemäßigt war, nicht besonders lang und schmal oder kurz und kugelfôrmig. Die Wangenkochen saßen eng am Oberkiefer, der Nasenrücken war hoch, die Nasenöffnung von gemäßigter Große.
Wieder einverstanden. 287JUL05 war weiß.
Ich notierte es mir und wandte mich dem Alter zu.
Auf dem linken Hüftknochen war der Schambeinfugenrand stark erodiert. Die rechte Seite war weniger beschädigt, und Details waren zwar abgeschürft, aber noch erkennbar. Ich trug den Knochen zu einem Mikroskop und betrachtete die Oberfläche unter Vergrößerung.
Und spürte ein Kribbeln im Nacken.
Ich kehrte zum Skelett zurück, nahm mir die vierten und fünften Rippen und trug sie ebenfalls zum Mikroskop. An der sternalen oder Brustseite endete jede Rippe in einer flachen Vertiefung, die von einer glatten Wand mit welligem Rand begrenzt wurde.
Noch ein Kribbeln.
Nachdem ich mir eine Osteometrietafel gesucht hatte, vermaß ich Oberschenkelknochen und Schien- und Wadenbein der rechten Seite. Ich betrachtete eben die Schätzwerte, die ich auf meinem Laptop mit Fordisc 3.0 errechnet hatte, als Corcoran durch die Tür kam.
»Gott im Himmel, Mädchen. Du bist immer noch da?«
»Kann sein, dass ich ihn gefunden habe.«
»Im Ernst?«
Ich deutete mit dem Kopf auf 287JULOS. »Jemand mit den Initialen ML untersuchte dieses Skelett.«
Corcoran machte ein nachdenkliches Gesicht und schüttelte dann den Kopf. »An einen oder eine ML kann ich mich nicht erinnern. Ich bearbeitete damals einen merkwürdigen Fall, schrieb sogar einen Artikel darüber im JFS. Hast du ihn gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das musst du dir anhören. Eine achtundsechzigjährige Frau wird bei einem Familienpicknick am 4.Juli zum letzen Mallebend gesehen. Danach hört zwei Wochen lang keiner etwas von ihr. Schließlich geht die Tochter nachsehen und findet auf dem Wohnzimmerboden eine Leiche. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass Mama nicht mehr allzu gut aussah.
Ich mache die Autopsie und finde nichts, was auf eine Todesursache hinweist, also klassifiziere ich sie als unklar. Als Nächstes erzählt mir ein Polizist, einer der Enkel habe zugegeben, die alte Dame erschossen zu haben. Offensichtlich brauchte der kleine Wichser Geld für Drogen, und Oma rückte nichts heraus. Ich bin skeptisch, weil ich keine perforierten Organe, keine eingekerbten Knochen, keine Kugeln oder Kugelfragmente und keine Metallspuren auf den Röntgenaufnahmen gefunden habe.«
»Aha.« Ich wollte nicht unhöflich wirken, aber der Fall interessierte mich nicht sonderlich.
»Aber diesem alten Sherlock hier lässt das keine Ruhe, und er nimmt sich die Dame noch einmal vor. Und rate mal, was ich gefunden habe?«
Ich machte mein »Ich bin beeindruckt«-Gesicht. »Anscheinend hatte sie sich bewegt, als der Junge den Abzug drückte. Ich finde einen Schusskanal genau durch die Muskeln, die parallel zum Rückgrat verlaufen. Obwohl kein lebenswichtiges Organ getroffen wurde, verblutete das Opfer wahrscheinlich.« Corcoran strahlte.
»Du bist ein Genie.« Ich wartete eine respektvolle halbe Sekunde. »ML hat es
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