Das Grauen im Museum
gekommen, und die als eine Art Rentnerin der Familie eine führende Rolle unter den Schwarzen spielte. Die alte Sophonisba zeigte sich immer ehrerbietig, wenn Marceline in ihre Nähe kam, und einmal sah ich sie die Erde küssen, über die ihre Herrin gegangen war. Schwarze sind abergläubische Wesen, und ich fragte mich, ob Marceline unseren Dienstboten irgend etwas von ihrem mystischen Unsinn erzählt hatte, um ihre offensichtliche Abneigung zu überwinden.«
»So ging das fast ein halbes Jahr. Im Sommer 1916 kamen dann die Ereignisse ins Rollen. Gegen Mitte Juni erhielt Denis eine Nachricht von seinem alten Freund Frank Marsh, der ihm mitteilte, er habe eine Art Nervenzusammenbruch erlitten und wolle sich gerne zur Erholung aufs Land begeben. Der Brief war in New Orleans abgestempelt, denn Marsh hatte von Paris aus die Heimreise angetreten, als er den Zusammenbruch kommen fühlte, und konnte nur als eine zwar höfliche, aber doch unmißverständliche Bitte um eine Einladung von uns gedeutet werden. Marsh wußte natürlich, daß Marceline bei uns war, und erkundigte sich mit höflichen Worten nach ihrem Befinden. Denis, der die Nachricht von dem beklagenswerten Zustand seines Freundes mit Betroffenheit aufgenommen hatte, schrieb ihm unverzüglich, er könne kommen und so lange bei uns bleiben, wie ihm beliebte.
Marsh kam und ich erschrak darüber, wie sehr er sich verändert hatte, seit ich ihn zum letztenmal gesehen hatte. Er war ein eher kleiner, hellhäutiger Bursche mit blauen Augen und einem schwachen Kinn, und ich sah jetzt in seinen geschwollenen Augenlidern, seinen vergrößerten Nasenporen und den tiefen Falten um den Mund die üblen Auswirkungen des Alkohols und wer weiß was sonst noch. Ich nehme an, er hatte seine Attitüde der Dekadenz ziemlich ernst genommen, und Rimbaud, Baudelaire oder Lautreamont nach Kräften nachgeeifert. Dennoch war er ein erfrischender Gesprächspartner, denn wie alle Dekadenten war er äußerst empfänglich für die Farbe und Stimmung und Namen der Dinge, bewundernswert lebendig und außerordentlich bewandert in obskuren, schattigen Gebieten des Lebens und Fühlens, von deren bloßer Existenz die meisten von uns keine Ahnung haben. Der arme Teufel! Wenn doch nur sein Vater länger gelebt und ihn mit fester Hand geleitet hätte! Dieser Junge war zu Großem bestimmt!
Ich war froh über den Besuch, denn ich hoffte, er würde dazu beitragen, wieder eine normale Atmosphäre im Haus herzustellen. Und eben dies schien anfangs auch der Fall zu sein. Denn wie ich schon sagte, war Marsh ein äußerst angenehmer Gesellschafter. Er war einer der aufrichtigsten und geistreichsten Künstler, die ich kennengelernt habe, und ich bin überzeugt, daß ihm nichts anderes im Leben wichtig war als die Wahrnehmung und der Ausdruck von Schönheit. Wenn er ein erlesenes Ding sah oder eines schuf, weiteten sich seine Augen, bis die Iris fast verschwand, so daß nur noch zwei mystische schwarze Kreise in diesem schwachen, zarten, kreideweißen Gesicht standen. Schwarze Fenster zu fremden Welten, über die keiner von uns auch nur Vermutungen anzustellen vermochte.
Als er hier ankam, hatte er jedoch nicht oft Gelegenheit, diese Neigung zu zeigen, denn er war, wie er Denis sagte, ziemlich erschöpft und ausgebrannt. Er hatte offenbar großen Erfolg als Künstler einer bizarren Richtung gehabt, wie etwa Füssli oder Goya oder Sime oder Clark Ashton Smith, aber dann hatte ihn ganz plötzlich eine Schaffenskrise erfaßt. Die Welt der alltäglichen Dinge um ihn herum enthielt für ihn nichts mehr, was er als Schönheit empfinden konnte, das heißt Schönheit von solcher Kraft und Ausprägung, daß sie seine schöpferischen Kräfte angeregt hätte. Er hatte solche Phasen wie alle Dekadenten -schon oft gehabt, aber diesmal war er nicht mehr imstande, eine
neue, außergewöhnliche oder seltsame Empfindung oder Erfahrung zu erfinden, die ihm die unentbehrliche Illusion frischer Schönheit oder erregender, abenteuerlicher Erwartung beschert hätte. Er war am prekärsten Punkt seiner merkwürdigen Karriere angelangt.
Marceline war nicht im Hause, als Marsh ankam. Sie war von dem angekündigten Besuch nicht begeistert gewesen, und hatte sich geweigert, eine Einladung abzusagen, die etwa zu dieser Zeit Freunde von uns aus St. Louis ihr und Denis geschickt hatten. Denis blieb natürlich zu Hause, um seinen Gast zu empfangen, aber Marceline war allein der Einladung gefolgt. Es war das erste Mal, daß die beiden
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