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Das Grauen im Museum

Das Grauen im Museum

Titel: Das Grauen im Museum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. P. Lovecraft
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war es auch, in dem Marsh den Vorschlag machte, mit dem das Verhängnis seinen Lauf nahm. Ich war durch einen Anfall meiner Neuritis zum Liegen gezwungen, hatte mich aber überwunden, hinunterzugehen und mich auf dem Sofa im vorderen Salon unter dem hohen Fenster auszustrecken. Denis und Marsh saßen draußen dicht vor dem Fenster, so daß ich ungewollt alles mithörte, was sie sagten. Sie hatten über Kunst gesprochen und über die kuriosen, vom Zufall abhängigen Umwelteinflüsse, die ein Künstler als Anstoß zur Schaffung eines wirklichen Kunstwerkes brauche, als Marsh plötzlich von der abstrakten Erörterung zu der persönlichen Anwendung überging, die er wohl von Anfang an im Auge gehabt hatte.
    “Ich nehme an” sagte er, “niemand wüßte zu sagen, durch welches Element bestimmte Szenen oder Objekte zu ästhetischen Reizen für bestimmte Individuen werden. Im Grunde muß das natürlich irgendwie mit dem Vorrat an geistigen Assoziationen zusammenhängen, den jeder Mensch besitzt, denn keine zwei Menschen haben dasselbe System von Sensibilität und Reaktion. Wir Dekadenten sind Künstler, für die alle alltäglichen Dinge keinerlei emotionale oder symbolische Bedeutung mehr haben, aber jeder von uns reagiert anders auf die gleiche außergewöhnliche Sache. Nehmen wir zum Beispiel einmal mich…” Er hielt inne und sprach dann weiter.
    “Ich weiß, Denny, daß ich dir das sagen kann, weil du einen so außergewöhnlich unverbildeten Verstand besitzt klar, fein, direkt, objektiv und so weiter. Du wirst mich nicht mißverstehen, wie es bei einem überfeinerten, allzu kultivierten Mann von Welt zu befürchten wäre.” Er hielt abermals inne.
    “Ich glaube, ich weiß jetzt, was nötig ist, damit meine Vorstellungskraft wieder in Gang kommt. Geahnt habe ich es schon immer, seit wir zusammen in Paris waren, aber jetzt bin ich sicher. Es ist Marceline, alter Junge dieses Gesicht und dieses Haar und die Kette schattenhafter Bilder, die sie heraufbeschwören. Es ist nicht nur sichtbare Schönheit obwohl sie damit weiß Gott reich gesegnet ist -, sondern etwas ganz Eigentümliches und Individuelles, das sich nicht genau erklären läßt. Weißt du, ich habe in den letzten Tagen ein so bestimmtes Gefühl gehabt, daß dieser Reiz existiert, daß ich wahrhaftig glaube, ich könnte mich selbst übertreffen und in die Spitzengruppe der großen Meister vorstoßen, wenn ich Farbe und Leinwand genau in dem Moment zur Hand hätte, in dem ihr Gesicht und ihr Haar meine Phantasie beflügeln. Das Ganze hat etwas Unheimliches, Überirdisches es hängt mit den schemenhaften alten Dingen zusammen, die Marceline repräsentiert. Ich weiß nicht, wieviel sie dir über diese Seite ihres Wesens erzählt hat, aber ich versichere dir, es gibt da mehr, als du vielleicht glaubst. Sie hat gewisse phantastische Verbindungen zur Außenwelt…”
    Ein Wechsel in Denis’ Gesichtsausdruck mußte Marsh hier Einhalt geboten haben, denn es trat eine längere Pause ein. Ich war im höchsten Grade beunruhigt, ja erschrocken, denn ich hatte nicht mit einer so offenen Aussprache gerechnet. Und ich fragte mich, was mein Sohn wohl denken mochte. Ich bekam heftiges
    Herzklopfen und spitzte die Ohren, um mir nur ja nichts entgehen zu lassen. Dann sprach Marsh weiter.
    “Du bist natürlich eifersüchtig ich weiß, wie eine solche Äußerung auf dich wirken
muß -, aber ich schwöre dir, du hast keinen Anlaß dazu.”
Denis erwiderte nichts, und Marsh sprach weiter.
    “Um die Wahrheit zu sagen, ich könnte mich nie in Marceline verlieben nicht einmal zu einer wirklich herzlichen Freundschaft mit ihr wäre ich fähig. Verdammt noch mal, ich kam mir bei unseren Gesprächen in den letzten Tagen wie ein Heuchler vor. Der Fall liegt einfach so, daß eine Seite von ihr mich auf eine gewisse Weise, eine sehr merkwürdige, phantastische und unbestimmt schreckliche Weise beinahe hypnotisiert, genauso wie du auf eine viel normalere Art von einer anderen Seite ihres Wesens beinahe hypnotisiert bist. Ich sehe etwas in ihr oder, um psychologisch genau zu sein, etwas durch sie oder jenseits von ihr -, das du überhaupt nicht wahrnimmst. Etwas, was eine endlose Prozession von Gestalten aus vergessenen Abgründen heraufbeschwört und mich wünschen läßt, unglaubliche Dinge zu malen, deren Umrisse im selben Moment verschwimmen, in dem ich sie klar ins Auge zu fassen versuche. Versteh mich nicht falsch, Denny, deine Frau ist ein bezauberndes Geschöpf, ein strahlender

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