Das Grauen im Museum
irgendein Pelztier in Stücke gerissen hat und nun wieder zum Meer hinunter kriecht. Seine Rasse schien kaukasisch zu sein, ließ sich aber nicht näher bestimmen. Manche von Clarendons Bekannten meinten, er sehe trotz seiner akzentfreien Sprache wie ein Angehöriger einer hohen Hindu-Kaste aus, während die meisten Georgina — die ihn nicht leiden konnte — zustimmten; sie äußerte mehrmals, ihrer Meinung nach wäre eine Pharaonen-Mumie, auf wunderbare Weise zum Leben erweckt, das reine Ebenbild dieses sardonischen Gerippes.
Dalton, der sich ganz auf seine politische Karriere konzentrierte und infolge der merkwürdigen Eigenbrötelei des alten Westens kaum über die Vorgänge an der Ostküste unterrichtet war, hatte den kometenhaften Aufstieg seines einstigen Kameraden nicht verfolgt, und auch Clarendon seinerseits hatte nie etwas von Dalton gehört, der mit seiner Position als Gouverneur denkbar weit außerhalb seiner Interessensphäre lag. Da sie finanziell unabhängig waren, hatten die Clarendons viele Jahre hindurch den Familiensitz an der East Nineteenth Street in Manhattan bewohnt, dessen Hausgeister von den bizarren Gestalten Suramas und der Tibeter sicherlich höchst befremdet waren. Dann jedoch hatte der Doktor den Wunsch geäußert, den Schauplatz seiner medizinischen Beobachtungen zu wechseln, und es war ganz plötzlich zu einer einschneidenden Veränderung gekommen. Die Clarendons hatten den Kontinent überquert, um ein zurückgezogenes Leben in San Francisco zu führen, wo sie das düstere alte Bannister-Anwesen bei Goat Hill oberhalb der Bay erwarben und ihren wunderlichen Haushalt unter den Walmdächern dieses weitläufigen Gebäudes einrichteten, dessen Stil eine Mischung aus viktorianischem Geschmack und der Großspurigkeit des Goldrausches war und das auf einem von hohen Mauern umgebenen Grundstück in einer Gegend lag, die immer noch Vorortcharakter hatte.
Dr. Clarendon fand die Arbeitsbedingungen hier zwar besser als in New York, beklagte aber immer noch den Mangel an Gelegenheiten, seine pathologischen Theorien zu testen und anzuwenden. Weltfremd wie er war, hatte er nie daran gedacht, sich um einen öffentlichen Posten zu bewerben, obwohl ihm immer klarer wurde, daß nur die medizinische Leitung einer staatlichen oder wohltätigen Einrichtung — eines Gefängnisses, Armenhauses oder Hospitals ihm das weite Experimentierfeld bieten konnte, das er brauchte, um seine Forschungen
abzuschließen und seine Entdeckungen zum Nutzen der Wissenschaft und der ganzen Menschheit anzuwenden.
Dann war er eines Nachmittags in der Market Street rein zufällig James Dalton begegnet, als der Gouverneur gerade aus dem Royal Hotel kam. Georgina war bei ihm gewesen, und das beinahe augenblickliche gegenseitige Wiedererkennen hatte die Dramatik der Begegnung noch verstärkt. Die Freunde, die so lange getrennt gewesen waren und nichts voneinander gehört hatten, wußten einander viel zu erzählen, und Clarendon freute sich zu hören, daß er eine so bedeutende
Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zum Freund hatte. Dalton und Georgina, die manchen Blick wechselten, spürten mehr als nur einen Rest ihrer jugendlichen Zuneigung. An diesem Tag wurde eine Freundschaft erneuert, die zu häufigen Besuchen und stetig wachsendem gegenseitigen Vertrauen führte.
James Dalton erfuhr, daß sein Jugendfreund ein öffentliches Amt anstrebte, und getreu seiner früheren Beschützerrolle suchte er seinen Einfluß geltend zu machen, um »dem kleinen Alf« einen angemessenen Wirkungskreis zu verschaffen. Zwar reichte dieser Einfluß sehr weit, doch wurde Dalton durch die scharfe Kontrolle der gesetzgebenden Körperschaften gezwungen, mit äußerster Diskretion vorzugehen. Schließlich wurde jedoch, kaum drei Monate nach der überraschenden
Wiederbegegnung, das wichtigste Amt für einen Mediziner im ganzen Staat frei. Nach Abwägung aller Faktoren und in dem Bewußtsein, daß der Ruf und die Erfolge seines Freundes auch die höchste Auszeichnung rechtfertigten, sah der Gouverneur eine Möglichkeit zum Handeln. Die Formalitäten waren rasch erledigt, und am 8. November 189wurde Dr. Alfred Schuyier Clarendon medizinischer Direktor des kalifornischen Staatszuchthauses St. Quentin.
In kaum mehr als einem Monat sahen sich Dr. Clarendons Bewunderer in ihren Hoffnungen voll bestätigt. Durchgreifende Verfahrensänderungen brachten die medizinische Versorgung der Haftanstalt auf ein Niveau, von dem man bis dahin nicht zu
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