Das Grauen lauert in der Tiefe
senkte sie die Lider und blickte zu Boden.
Von draußen ertönte erneut der Schrei einer Katze, doch länger und lauter als zuvor.
Henriette duckte sich und zog die beiden Jungen zu sich auf den Boden.
»Jetzt wird es ernst«, flüsterte Henriette. »Da draußen sind sie!« Sie zog ein Taschentuch aus ihrer rechten Hosentasche und gab es Tom, dessen Nase zu laufen begonnen hatte. Der dunkelgrüne Fetzen Stoff hatte ziemlich viele Flecken, aber Tom wischte sich trotzdem damit das Gesicht ab.
Gemeinsam spähten die drei durch einen schmalen Spalt, der sich links von ihnen zwischen zwei Steinen in der Hauswand auftat. Offenbar war der Platz, an dem sie jetzt hockten, so etwas wie ein Beobachtungsposten. Max erkannte ganz deutlich die beiden uniformierten Männer, die zuvor in der Villa von Professor Hardenberg aufgetaucht waren und sie verfolgt hatten. In dem fahlen Licht der Straßenlaternen sahen sie sogar noch unheimlicher aus. Ihre Hemden spannten sich über ihre unnatürlich dicken Bäuche und ihre breiten Gesichter glänzten teigig im Lampenschein. Beinahe lautlos schritten die massigen Gestalten die Gasse vor Henriettes Hütte ab.
»Ihr müsst ja ganz schön was auf dem Kerbholz haben, wenn euch die Greifer bis hierher zu Fuß verfolgen«, wisperte Henriette. »Normalerweise trauen die sich nicht allein ins Jammerviertel. Und schon gar nicht, wenn sie ihre Panzer nicht dabeihaben.«
»Ich habe keine Ahnung, was die von uns wollen«, flüsterte Max.
»Aber ich«, sagte Tom und wischte sich mit Henriettes Taschentuch erneut über die Nase. »Die wollen mich .« Er machte ein entschlossenes Gesicht. »Diese ganze Sache hat mit euch gar nichts zu tun. Wenn ich mich stelle, lassen sie euch bestimmt in Ruhe.«
Mit diesen Worten richtete Tom sich auf, doch ehe er hinter der Werkbank hervorkommen konnte, packte Henriette ihn fest am Arm und zischte: »Du bleibst, wo du bist, verstanden? Hier im Jammerviertel liefern wir keinen aus.«
Sie holte einen Gegenstand, der aussah wie eine Pfeife, aus ihrer linken Hosentasche hervor und steckte ihn sich in den Mund.
»Ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sich eine anzustecken«, sagte Max verblüfft. Er hatte noch nie ein Mädchen mit einer Tabakpfeife im Mund gesehen und er fand den Anblick fast noch erstaunlicher als den einer Stadt auf dem Meeresboden.
Henriette blies die Backen auf und im selben Moment begann neben ihnen eine Ratte zu fiepen. Sofort stellten sich Maxwells Nackenhaare auf und er bekam eine Gänsehaut. Denn obwohl er es vor seinen neuen Freunden niemals zugegeben hätte, ekelte er sich vor jeder Art von Nagetier. Als Henriette erneut die Backen aufblies, fiepte die Ratte ein zweites Mal. Endlich begriff Max, dass es ihre Pfeife war, die das scheußliche Geräusch erzeugte, und er atmete erleichtert auf.
Doch schon kurz darauf spannten sich alle Muskeln in seinem Körper wieder in höchster Alarmbereitschaft. Vor dem Haus waren wie aus dem Nichts vier Schatten aufgetaucht, die den beiden Greifern den Weg verstellten. Sie trugen schwarze Umhänge und waren maskiert.
»Jetzt werden wir denen mal richtig den Hosenboden stramm ziehen«, raunte Henriette und blies erneut in ihre Rattenpfeife.
Die dunklen Gestalten machten einen Sprung nach vorn und zerrten dabei ein Netz mit sich, das sie über ihre Gegner warfen. Kolschoks Männer schrien auf und schlugen wie wild um sich, verfingen sich dadurch aber nur noch mehr in den groben Maschen. Nun stürzten sich die Angreifer auf ihre Beute und drückten sie mit Gewalt zu Boden.
»Muss das sein?«, fragte Max, den die Brutalität erschreckte, mit der Henriettes Leute vorgingen.
»Uns bleibt keine Wahl«, sagte Henriette. »Entweder sie oder wir. Du weißt nicht, wozu die Greifer fähig sind.«
»Oh Gott!«, rief Max und vergaß, seine Stimme zu senken. Durch den Sehschlitz beobachtete er, wie einer der Angreifer plötzlich in hohem Bogen gegen eine Hauswand flog und ein zweiter hart getroffen zu Boden taumelte. Sekunden später kam der größere der beiden Greifer wieder auf die Beine. Unterhalb seines rechten Handgelenks rotierte auf einmal eine kleine Kreissäge, mit der er das Fangnetz einfach zerschnitten hatte. Er wirbelte mit der schrecklichen Waffe herum und traf seinen dritten Widersacher. Ein furchtbarer Schrei ertönte und der maskierte Mann suchte wimmernd das Weite. Jetzt rappelte sich auch der zweite Greifer wieder auf. Am Ende seiner Arme saßen anstelle von Händen zwei
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