Das Graveyard Buch
ein paar kahle Stoppeln ü b rig waren.
Dann holte er nacheinander den Briefbeschwerer aus farbigem Glas, den Farbtopf und den Pinsel aus seiner Jackentasche.
Er tauchte den Pinsel in den Farbtopf und malte mit brauner Farbe auf den gläsernen Briefbeschw e rer die Buchstaben
E.H.
Und darunter schrieb er …
unvergessen
Bald war Schlafenszeit und vorerst war es nicht klug, wenn er zu spät ins Bett kam.
Er legte den Briefbeschwerer an die Stelle, wo ei n mal eine Brennnesselwildnis gewuchert hatte, und zwar dort, wo er ihren Kopf vermutete. Er hielt kurz inne, um das Werk seiner Hände zu betrachten, und schlüpfte wieder durch die Stäbe des Eisengitters. Den Rückweg trat er weniger zaghaft an.
»Nicht schlecht«, flüsterte eine kecke Stimme hinter ihm aus dem Gräberfeld. »Wirklich nicht schlecht.«
Doch als Bod sich umdrehte, war niemand zu s e hen.
Kapitel fünf
Danse Macabre
Irgendetwas ging da vor, da war sich Bod ganz sicher. In der kalten Winterluft, in den Sternen am Himmel, im Wind, in der Dunkelheit. Es war da, im Wechsel der la n gen Nächte und der flüchtigen Tage.
Mrs Owens schob ihn aus der Gruft der Owens. »Ab mit dir«, sagte sie. »Ich hab zu tun.«
Bod schaute seine Mutter vorwurfsvoll an: »Aber es ist kalt draußen.«
»Na hoffentlich«, sagte sie, »schließlich ist Winter. Da muss es kalt sein. Also«, sagte sie dann, mehr zu sich selbst als zu Bod, »Schuhe. Und schau dir mal dein G e wand an, da müsste der Saum genäht werden. Und Spinnweben, du meine Güte, überall Spinnw e ben. Du gehst jetzt aber. Ich hab eine Menge zu erl e digen und ich kann dich dabei nicht gebrauchen.«
Und dann sang sie vor sich hin, eine Weise, die Bod noch nie zuvor gehört hatte.
»Der eine arm, der andere reich,
Beim Danse Macabre sind alle gleich. «
»Was ist das?«, fragte Bod, doch er hatte offenbar e t was Falsches gefragt und Mrs Owens sah so finster aus wie eine Gewitterwolke. Bod beeilte sich fortz u kommen, bevor ihr Unmut rabiatere Formen a n nahm.
Auf dem Friedhof war es kalt und dunkel und die Sterne standen schon am Himmel. Bod ging die efeuu m rankte Ägyptische Allee entlang, vorbei an Mutter Slaughter, die ins Grüne blinzelte.
»Deine Augen sind jünger als meine, junger Mann«, sagte sie. »Kannst du sehen, ob etwas blüht?«
»Ob etwas blüht? Im Winter?«
»Schau mich nicht so ungläubig an, junger Mann«, erwiderte sie. »Alles blüht zu seiner Zeit. Es sprießt und blüht und verwelkt. Alles zu seiner Zeit.« Dann mu m melte sie sich noch fester in ihren Umhang und in ihre Haube ein und sagte:
»Zeit für Arbeit, Zeit für Spiel,
Der Danse Macabre ist das Ziel. Oder?«
»Ich weiß nicht«, sagte Bod. »Was ist der Danse M a cabre?«
Doch Mutter Slaughter war bereits unter dem Efeu verschwunden.
»Merkwürdig«, sagte Bod laut. Er suchte ein warmes Plätzchen und Gesellschaft in der Familiengruft der Bar t lebys – sieben Generationen unter einem Gewölbe –, doch die Familie hatte in dieser Nacht keine Zeit für ihn. Alle, vom Erstverstorbenen (1690) bis zum Letztversto r benen (1831), waren mit Putzen und Saubermachen b e schäftigt.
Fortinbras Bartleby, der mit zehn Jahren gestorben war (an Schwindsucht , hatte er Bod erzählt, der mehrere Jahre lang fälschlicherweise geglaubt hatte, Fortinbras sei so oft weggelaufen und verschwunden, bis er irgen d wann gar nicht mehr zurückgekehrt war, und Bod war sehr en t täuscht, als er erfuhr, dass es bloß e i ne Krankheit war), entschuldigte sich bei Bod.
»Wir haben jetzt keine Zeit zum Spielen, Herr Bod. Denn bald kommt morgen Abend . Wie oft kann man das schon sagen?«
»Jeden Abend«, sagte Bod. »Morgen Abend kommt immer .«
»Nicht dieser «, sagte Fortinbras. » Dieser ist beso n ders. «
» Aber es ist doch nicht Halloween«, sagte Bod, »oder Heiliger Abend oder Silvester.«
Fortinbras lächelte, ein breites Lächeln, das sein so m mersprossiges Mondgesicht vor Freude aufleuc h ten ließ.
»Die meine ich auch nicht, dieser Abend ist beso n ders.«
»Und wie heißt er?«, fragte Bod. »Was passiert mo r gen?«
»Der beste Tag überhaupt«, sagte Fortinbras und Bod war sich sicher, dass der Junge noch mehr sagen wollte, doch seine Großmutter Louisa Bartleby (die erst zwanzig war) rief ihn zu sich herüber und zischte ihm etwas ins Ohr.
»Nichts«, sagte Fortinbras. Und zu Bod gewandt: »Tut mir leid, aber ich muss jetzt weitermachen.« Er nahm einen Putzlappen und
Weitere Kostenlose Bücher