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Das grobmaschige Netz - Roman

Das grobmaschige Netz - Roman

Titel: Das grobmaschige Netz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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es gab keine weiteren Briefe.
    Er war seit drei Stunden zu Hause. Niemand hatte angerufen, und so lang würde niemand zögern ... es gab keine weiteren Briefe.
    Er trommelte mit den Fingern auf der Flasche herum.
    Abgesehen von der Möglichkeit — sein Verstand war jetzt glasklar —, dass die Polizei ihre Post erst später bekam. Der Brief konnte auch morgen noch eintreffen ... diese Möglichkeit bestand, das musste er zugeben.
    Er trank noch einen Schluck. Vor dem Fenster lärmten die Dohlen. Er musste an Hitchcock und die Vögel denken, und diese Erinnerung hatte etwas Ansprechendes, etwas, mit dem er sich verwandt fühlte ... aber vielleicht war jetzt nicht der passende Zeitpunkt für solche Überlegungen.
    Wenn es noch weitere Briefe gab, die bereits geschrieben und abgeschickt worden waren ... dann mussten sie am nächsten Tag ankommen. Allerspätestens dann.

    Am nächsten Tag. Wenn er dann bis zwölf Uhr nichts gehört hatte, war er in Sicherheit.
    Er setzte die Flasche an den Mund und leerte sie. Schaute zum Himmel über den Dächern hoch. Es wurde rasch dunkel; zweifellos zog eine neue Sternennacht herauf ... vage fragte er sich, ob das ein Vor- oder ein Nachteil wäre.
    Die endgültige Antwort stand noch aus. Er hatte gewartet und Geduld gezeigt. Hatte abgewartet.
    Er holte tief Atem. Der Kitzel war jetzt stark und angenehm. Fast erotisch.
    Es war soweit.

24
    Er erwachte und konnte sich nicht an seinen Namen erinnern.
    Das passierte natürlich nicht zum ersten Mal. An einem anderen Morgen war es ihm schon einmal so ergangen.
    Aber jetzt war Nacht. Blasses Mondlicht fiel über das Fußende seines Bettes und eine Gestalt, die dort stand.
    Es war bestimmt eine Frau. Ihre Silhouette zeichnete sich vor dem Fenster ab, ihr Gesicht befand sich jedoch im Dunkeln.
    Aber war sie das nicht?
    Sie näherte sich. Langsam ging sie um das Bett herum und trat auf seine rechte Seite. Hob den Arm, und etwas funkelte in ihrer Hand ...
    Mitter, Janek Mitter, fiel ihm in dem Moment ein, in dem der Schmerz seinen Kopf spaltete.
    Und ehe der Schrei seine Kehle verlassen hatte, wurde ihm ein Kissen aufs Gesicht gedrückt. Er fuchtelte mit den Armen, bekam auch das Handgelenk seines Besuchs zu fassen — aber die Kraft verließ ihn, und der Schmerz pumpte weiß glühende Wellen in Bauch und Brust.

    Ich bin niemand, dachte er. Nur ein einziges großes Leiden.
     
    Als Letztes sah er noch ein Bild.
    Ein altes Bild, das er sich vielleicht selber ausgedacht hatte. Vielleicht stammte es auch aus einem Buch.
    Es war ein Bild des Todes, und es war eine höchst persönliche Wahrheit.
    Ein Ochse.
    Und ein Sumpf.
    Das war sein Leben. Ein Ochse, der im Sumpf versank.
    Der langsam im Sumpf versank. Im Tod.
    Als die Nacht kam, eine stille und sternenklare Nacht, war nur noch der Kopf zu sehen, und das Letzte ... das absolut Letzte, was verschwand, waren die verwunderten Augen des Ochsen, die zu den Myriaden von Sternen emporstarrten.
    Das war das letzte Bild.
    Und als sich das Wasser über den Augen schloss, löste sich alles auf.

Zweiter Teil
Freitag, 22. November — Sonntag, 1. Dezember

25
    »Rooth, lass uns doch bitte von Frau Katz ein paar Flaschen Wasser bringen!«
    Hiller zupfte sich ein Haar vom Revers und musterte die Versammlung.
    »Wo steckt Van Veeteren? Habe ich nicht gesagt, dass alle um fünf Uhr hier sein sollen? Es ist schon drei Minuten nach fünf... die Pressekonferenz beginnt um Punkt sechs, und bis dahin müssen wir trockenen Boden unter den Füßen haben. Das ist eine wirklich üble Geschichte!«
    Reinhart erhob sich.
    »Ich hole ihn. Der macht gerade einem Psychiater das Leben zur Hölle.«
    Münster ließ sich zurücksinken und versuchte, aus dem Fenster zu schauen. Das Zimmer des Polizeichefs befand sich im fünften Stock, der auch das »Treibhaus« genannt wurde, weil Hiller eine unbestreitbare Vorliebe für Topfblumen hatte. Das Aussichtsfenster mit Blick auf die Südstadt lieferte großzügig Licht, und Azaleen, Bougainvilleen und allerlei Palmen gediehen aufs Beste. Dermaßen gut sogar, dass das Fenster schon längst zugewachsen war.
    Münster seufzte und beobachtete den Polizeichef. Der drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl hin und her. Machte sich an Papieren zu schaffen, zog seinen Schlips gerade, wischte Staub von seinem mitternachtsblauen Anzug ... alles
deutliche Signale! Pressekonferenz! Und es hatten sich nicht nur Zeitungsreporter und Fotografen angesagt, sondern auch Radio- und

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