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Das größere Wunder: Roman

Das größere Wunder: Roman

Titel: Das größere Wunder: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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vor mir knien, ich sehe drei Kinder und eine große Villa im Grünen, ich will nicht auf einem Traktor enden, irgendwo in Österreich!«
    Jonas blickte auf die ausgestreckte Hand vor sich. Nach einigen Sekunden gespielten Zögerns schlug er ein.
    »Ich schwöre, sobald ich das Gefühl habe, etwas ist nicht in Ordnung, steige ich auf die Bremse.«
    »Was wahnsinnig viel nützen wird«, erklang es von rechts. »Aber ich will’s jetzt wissen!«
    Mit einem Sprung war Werner zurück auf seinem Platz. Die Beine stemmte er vor sich gegen die Verkleidung, mit den Händen hielt er sich an einer Querstrebe hinter dem Fahrersitz fest. Auf ihrer Seite tat Vera das Gleiche.
    »Und das Schild muss groß werden«, sagte sie.
    »Was für ein Schild?«
    »Ich glaube, sie meint ihren Grabstein«, sagte Werner.
    »Fanta Street!«
    »Ach so. Du kriegst ein Straßenschild, das von den echten hier in der Gegend nicht zu unterscheiden ist. Montage inbegriffen.«
    »Dann laber nicht, sondern fahr los, damit wir es hinter uns bringen!«
    Jonas ließ den Motor an, und in der Sekunde darauf umhüllte sie eine Wolke aus Rauch und Gestank. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals rollte ein Wagen die Piste hinab. Für zwei Fahrzeuge nebeneinander war die Straße zu schmal. Jonas wartete.
    »Freundin habt ihr beide keine, nicht wahr?« fragte Vera, während sie zusahen, wie sich der andere Wagen den Berg heraufkämpfte.
    »Nein, wieso?«
    »Nur so.«
    »Wir haben zu viele Verpflichtungen«, sagte Werner.
    Beim Anblick von Jonas auf dem Fahrersitz schaute der Mann am Steuer des entgegenkommenden Autos verdutzt. Er bremste kurz, fuhr dann aber doch weiter.
    »Kennt den jemand von euch?« fragte Vera.
    »Das ist der Dorfgendarm«, sagte Werner. »Er heißt Angerer. Netter Mensch.«
    Jonas gab Gas, und der Traktor tauchte über die Kuppe.
    »Das überleben wir nicht!« schrie Werner und lachte schrill.
    Als die Tachometernadel die Maximalanzeige erreichte, kuppelte Jonas den Gang aus. Die beiden neben ihm riefen und schrien, doch er verstand ihre Worte nicht mehr.
    Je schneller der Traktor den Berg hinabraste, desto tiefer versank Jonas in einem Gefühl vollkommener Leichtigkeit. Er fühlte sich schwerelos, geborgen und heiter. Es war, als müsste er nicht mehr atmen, um zu leben. Kein Gedanke störte seine Seligkeit, keine Erinnerung suchte ihn heim, er vermisste nichts und niemanden. Links und rechts der Straße flogen Bäume und Sträucher an ihm vorbei, und er war wie neu.
     
    Ewig stürzen. Das ist das Glück.

19
     
    Als Jonas die Augen aufschlug, sah er Hadans zerfurchtes Gesicht vor sich.
    »Na, Schneewittchen? Was machst du für Sachen?«
    Er fühlte, dass noch jemand da war, und drehte den Kopf, der bei dieser leichten Bewegung von einem Schmerz durchzuckt wurde, wie er ihn selten erlebt hatte. Links von sich sah er Helen sitzen.
    »Er ist bei Bewusstsein«, sagte sie in ihr Funkgerät.
    »Was ist los? Wo bin ich?«
    »Lager 1«, sagte Hadan. »Du hast ein ziemlich ausgedehntes Nickerchen gemacht. Als du nicht aufwachen wolltest, haben wir begonnen, dich sanft zu schütteln …«
    »Er meint, er hat dir ein paar reingehauen«, sagte Helen.
    »Was hätte ich denn machen sollen? Jetzt scheint es dir ganz gut zu gehen. Oder?«
    Trotz der Schmerzen und seiner Benommenheit entging Jonas nicht die Unruhe in Hadans Stimme. Er versuchte sich zu erinnern.
    »Wie spät ist es?«
    »Acht Uhr abends.«
    Jonas hielt sich die Hand vor die Augen und wies auf die Lampe, die grell von der Querstrebe des Zeltdaches hing.
    »Könntet ihr die dimmen?«
    »Dimmen? Was glaubst du, wo du bist, im Hilton?«
    »Acht Uhr abends? Ich hoffe, es ist heute und nicht morgen oder übermorgen.«
    »Wenn das eine Frage sein soll, ob du heute zum Lager 1 aufgestiegen bist, lautet die Antwort ja. So lange hätten wir dich nicht schlafen lassen.«
    »Na, was wollt ihr dann? Ich habe mich eben ausgeruht.«
    Hadan klopfte Jonas auf die Brust und kroch nach draußen. Jonas hörte flüsternde Stimmen, die sich nach ihm erkundigten, ohne sie zuordnen zu können. Kurz darauf steckte Sam den Kopf ins Zelt.
    »Junge, was machst du für Sachen? Dich muss man an die kurze Leine nehmen! Oder besser ans kurze Seil, einer von den Sherpas soll dich beim nächsten Mal raufschleppen! Was fehlt dir überhaupt?«
    »Wir sind hier noch nicht fertig«, sagte Helen, schob Sam hinaus und zog den Reißverschluss am Eingang zu.
    »Schau mich an«, sagte sie und leuchtete Jonas mit einer

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