Das große Buch vom Räuber Grapsch
öffnete die Tür und zeigte auf einen riesigen, prall gefüllten Sack, der neben dem Bühneneingang stand.
„Und was ist da drin?", grunzte Grapsch so laut, dass man es bis in den Saal hinaus hören konnte, wo gerade der Schuldirektor sprach.
„Pssst!", flüsterte Max und zog Grapsch wieder ins Schminkzimmer. „Was da drin ist ? Lauter Spenden der Juclcenauer Supermärkte, Bäcker und Konditoreien. Alles an Gebäck, was sie übers Jahr nicht losgeworden sind. Und Apfelsinen, zweite Wahl."
„Ich hab Hunger", knurrte Grapsch und wollte aus dem Zimmer. „Du kannst nicht kauend auf die Bühne kommen, Tassilo", flüsterte Max nervös. „Hinterher kannst du dann so viel essen, wie du willst."
„Wenn der Sack leer ist?", rief Grapsch empört.
„Der wird nie ganz leer", antwortete Max. „In diesem Jahr ist auch noch ein Bodensatz vom letzten und vorletzten Jahr drin. Also:
Reiß dich zusammen, bis die Feier vorbei ist!"
„Wenn ich's nur so lange aushalte", seufzte Grapsch.
Auf der Bühne sang jetzt der Männerchor Harmonie. Grapsch
gähnte.
„Da singt Anton mit", erklärte Max. „Hörst du das Schluchzen im Saal ? - Ja, und mach den Kindern nicht zu sehr Angst! Sie könnten Schaden nehmen. Aber vergiss nicht zu betonen, dass sie sich an den Erwachsenen ein Beispiel nehmen sollen. Das wollen die Eltern hören." Grapsch knurrte.
Als Frau Bürgermeister sang und Frau Stolzenrück harfte, wurden zwei kleine Mädchen in langen Nachthemden und mit Pappflügeln ins Schminkzimmer geschoben. Es wurde sehr eng. Die Tür ging fast nicht mehr zu.
„Das sind Engel", erklärte Max. „Deine Begleiterinnen, Tassilo. Zertritt sie nicht."
Draußen hielt jetzt der Bürgermeister seine Rede. „Ich muss mal pissen", sagte Grapsch.
„Keine Zeit mehr!", rief Max aufgeregt. „Das musst du bis nachher aufschieben."
„Wenn ich muss, dann muss ich", brummte Grapsch und hob den roten Mantel.
„Aber die Toilette ist unten im Keller!", jammerte Max. „Bis wir unten und wieder oben sind, bist du längst dran!" Grapsch antwortete nicht, sondern riss das Fenster auf und pinkelte hinunter auf die Straße.
„Nein so was, Erna", hörte Max eine Männerstimme unten sagen, „das Klima ändert sich wirklich: So ein warmer Regen im Dezember!"
Ein Nikolaus in Käuher stiefeln
Schon drückte Max dem Räuber die Rute in die Hand, schob ihm ein dickes Telefonbuch unter den Arm, das mit Goldpapier beklebt war, und zerrte ihn aus dem Zimmer hin zum Bühneneingang. Dann wuchtete er ihm den Sack auf die Schultern, und sobald das Glöckchen zu bimmeln begann, schubste er ihn auf die Bühne. Die Engelchen folgten ihm scheu. So einen gewaltigen Nikolaus hatten sie noch nie gesehen!
Im Scheinwerferlicht musste Grapsch blinzeln. Alle Leute im Saal klatschten begeistert. Was für ein stattlicher Nikolaus! „LIallo, Nikolaus!", riefen ein paar Kinderstimmen. „Lieber Nikolaus", rief der Bürgermeister und schob Grapsch zum Rednerpult, „sagen Sie unseren Kindern erst ein paar Worte, bevor Sie zur Bescherung schreiten!"
Grapsch räumte mit einem Tritt das Pult weg, das ihm im Weg war, nahm den Sack von der Schulter, stellte ihn vor sich auf den Boden und sagte mit dröhnender Stimme: „Ich komm aus dem Raben-horster Wald und soll so tun, als ob ich ein alter Großvater wäre, der Nikolaus heißt. Und ich soll euch vorschwindeln, dass ich in diesem Buch da allerlei über euch gelesen hab. Dabei kann ich gar nicht lesen, haha! Hier im Sack ist angeblich Backzeug drin, süßes. Mal sehn, ob's stimmt."
Er ließ das Buch fallen, öffnete den Sack, griff hinein und stopfte sich Hände voll Gebäck in den Mund. Mit vollen Hamster backen fuhr er fort: „Das soll ich an euch Knirpse verteilen - lauter Zeug, das in den Ladenregalen liegen geblieben ist. Ich rate euch, ihr Schlümpfe, esst es nicht! Warum ich den Mampf runterwürge? Weil ich Hunger hab! Vor Hunger hab ich in den letzten Tagen schon Heu gefressen!" Kleine wie Große im Saal waren sprachlos.
„Ich soll euch auch ein bisschen drohen, euch kleinem Gemüse", fuhr Grapsch fort. „Aber das tu ich nicht. Ihr seid ja in Ordnung, ihr Dreikäsehochs. Nur den Großen werd ich jetzt mal meine Meinung geigen. Denn denen droht nämlich niemand mehr. Weil sie schon groß sind."
Und er schwang die Rute und brüllte, dass der Saal zitterte: „He, ihr Großen - an euch sollen sich die Kleinen ein Beispiel nehmen ? Schwindelt ihr etwa nicht, wenn's zu eurem Vorteil ist? Seid ihr etwa
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