Das große Doppelspiel
Straßen
blockiert waren. Als Geneviève das Fenster herunterkurbelte,
nahm sie den Brandgeruch in der feuchten Luft wahr. Leute strömten
schutz suchend in die U-Bahn-Stationen, ganze Familien mit
Woll decken, Koffern und anderen Habseligkeiten, die abermals eine
Nacht unter der Erde verbringen würden. Es war wieder wie
1940.
»Ich dachte, wir hätten all das hinter
uns«, sagte sie bitter. »Ich dachte, die RAF wäre
damit fertig geworden.«
»Jemand muß vergessen haben, es der
Luftwaffe zu sagen«, erwiderte Craig. »Die Londoner nennen
es den Kleinen Blitz. Längst nicht so schlimm wie damals.«
»Es sei denn, man steht zufällig unter der nächsten Bombe, die sie ausklinken«, bemerkte sie.
Rechts von ihnen loderten Flammen, Craig riß das
Steuer herum und nahm die andere Straßenseite. Er hielt am
Bord stein, und ein Bobby mit Schutzhelm eilte aus der Finsternis
herbei.
»Sie werden den Wagen hier stehen lassen und in
die UBahn-Station gehen müssen, bis der Angriff vorbei ist. Der
Eingang ist am Ende der Straße.«
»Ich habe einen militärischen Einsatz«, protestierte Craig.
»Und wenn Sie Churchill persönlich
wären, Sie müßten trotzdem da rein, alter Junge«,
sagte der Polizist ungerührt.
»Meinetwegen, ich kapituliere«, antwortete Craig.
Sie stiegen aus, er schloß den Wagen ab, und
dann folgten sie den Männern, Frauen und Kindern, die zum Eingang
der UBahn hasteten. Sie stellten sich an der Schlange an und fuhren
zwei Rolltreppen hinunter, gingen einen Gang entlang, bis sie
schließlich in die Tunnelröhre mit den Gleisen kamen.
Die beiden Bahnsteige waren
überfüllt, überall saßen in Wolldecken
gehüllte Menschen, umgeben von ihren Habselig keiten.
Kriegshelferinnen verteilten Erfrischungen von einem großen
Servierwagen. Craig stellte sich an und konnte zwei Becher Tee und ein
Cornedbeef-Sandwich ergattern und kehrte mit seiner Beute zu
Geneviève zurück. Sie trank und biß heiß
hungrig in ihre Sandwichhälfte.
»Die Leute sind wunderbar«, sagte sie.
»Sehen Sie sich um. Wenn Hitler uns jetzt sehen könnte,
würde er den Krieg abbla sen.«
»Wahrscheinlich«, stimmte Craig zu.
In diesem Augenblick erschien ein Luftschutzwart mit
staubverschmiertem Gesicht, der einen Overall und einen Schutzhelm
trug, in der Bahnröhre. »Ich brauche ein halbes Dutzend
Freiwillige. Oben sitzt jemand in einem Keller fest und kann sich nicht
selbst befreien.«
Nach einem kurzen Zögern standen vier oder
fünf Männer mittleren Alters, die in der Nähe gesessen
hatten, auf und gin gen zu dem Mann. »Wir kommen mit«,
sagte einer.
Craig zauderte, faßte sich unwillkürlich an seinen verwunde ten Arm. Dann stand auch er auf.
Geneviève folgte ihm, und der Luftschutzwart sagte: »Sie nicht, meine Liebe.«
»Ich bin Krankenschwester«, sagte sie
spitz. »Sie werden mich vielleicht mehr brauchen als die
anderen.«
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und
drehte sich um, und die kleine Gruppe folgte ihm die Rolltreppen hinauf
auf die Straße. Die Bomben fielen jetzt weiter entfernt, aber
links von ihnen brannten einige Häuser, und in der Luft hing ein
beißender Gestank von Rauch.
Etwa fünfzig Meter vom Eingang der U-Bahn-Station
war eine ganze Ladenzeile in Schutt und Asche gelegt. Der Luft
schutzwart sagte: »Wir sollten auf die Rettungsmannschaft warten,
aber ich habe gehört, wie da drüben jemand schrie. War bis
vorhin ein Café, es hieß Sam’s. Ich glaube, im Keller ist
jemand verschüttet.«
Sie gingen bis zu der Ruine und horchten.
Der Luftschutz wart rief etwas, und fast unmittelbar danach
antwortete ein schwacher Ruf.
»Also, ran an die Arbeit.«
Sie nahmen den Haufen von Ziegeln und Steinen mit den
Händen in Angriff, räumten ihn weg, bis nach fünfzehn
oder zwanzig Minuten der Rand einer Kellertreppe sichtbar wurde. Die
Öffnung war kaum breit genug für einen Mann. Während sie
sich hinhockten, um sie zu untersuchen, schrie einer der Männer
eine laute Warnung, und sie sprangen gerade noch rechtzeitig
zurück, ehe eine Mauer einstürzte.
Der Staub legte sich, und sie sahen sich zweifelnd an.
»Es wäre Wahnsinn, da runterzugehen«, sagte einer.
Eine Pause entstand, dann steckte Craig seine
Schirmmütze in die Tasche seines Trenchcoats, zog den Mantel aus
und gab ihn Geneviève. »Verdammt, ich hab’ diese
schöne Uniform erst vorgestern bekommen«, sagte er, legte
sich auf den Bauch und kroch mit dem Kopf voran in die
Treppen-Öffnung.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher