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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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bin außer Atem. Drinnen ist alles wie gehabt, nur dass Gad nicht zu Hause ist. Adam sucht etwas, kramt in Schubladen und Regalen, während ich die Stereoanlage einschalte und auf Play drücke, so sicher bin ich, was er sucht und was passieren wird. Die CD springt an, aus den Lautsprechern ertönt Musik; mag sein, dass ich anfange, mich zu wiegen oder zu tanzen. Stell das aus, sagt Adam, der von hinten an mich herantritt, aber ehe ich ihn fühlen kann, rieche ich ihn, wie ein Tier. Warum?, frage ich und drehe mich mit einem koketten Lächeln um. Darum, sagt er, und ich denke: Dann eben in der Stille, umso besser. Ich strecke mich nach ihm und nehme sein Gesicht zwischen meine Hände. Mit einem Stöhnen presse ich meinen Körper an seinen und versuche, in den unteren Regionen etwas Hartes aufzuspüren, ich öffne meine Lippen und drücke sie auf seine, meine Zunge schiebt sich vor und fühlt, wie heiß es ist in seinem Mund; ich war ausgehungert, Euer Ehren, ich wollte alles auf einmal.
    Es währt nur einen Augenblick. Dann schubst er mich weg. Hau ab, lass mich los, knurrt er. Ich begreife nicht, strecke mich wieder nach ihm aus. Mit der flachen Hand schiebt er mein Gesicht zurück, so gewaltsam, dass ich rückwärts auf das Sofa falle. Er wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab, wobei er in der Hand, wie ich jetzt sehe, die Schlüssel zu der Wohnung mit den Möbeln der Verstorbenen hält. Ganz von ferne dämmert es mir, dass sie in Wirklichkeit gar nicht tot sind. Sind Sie verrückt geworden?, zischt er mit einem feindseligen Glanz in den Augen – und noch etwas, was ich gut kenne, aber nicht sofort unterbringen kann. Sie könnten meine Mutter sein, spuckt er, und da erkenne ich, es ist Ekel.
    Ich liege ausgestreckt auf dem Sofa, erstaunt und gedemütigt. Er wendet sich zum Gehen, aber an der Tür hält er inne. Die purpurrote Velourstasche liegt im Eingang, wo ich sie beim Hereinkommen gelassen habe. Er hebt sie auf. In seinen Händen wird sie das, was sie an mir immer gewesen sein muss: absurd und lächerlich. Die Augen unentwegt auf mich geheftet, vergräbt er die Hand bis zum Unterarm in ihrem Inneren und wühlt es durch. Als er nicht findet, was er sucht, dreht er die Tasche auf den Kopf und streut den Inhalt auf den Fußboden. Geschwind beugt er sich vor und greift sich meine Geldbörse. Dann wirft er die Tasche hin, versetzt ihr einen Stiefeltritt, um sie aus dem Weg zu räumen, geht mit einem letzten angewiderten Blick in meine Richtung hinaus und knallt die Tür hinter sich zu. Mein Lippenstift rollt weiter, bis er an die Wand stößt.
    Der Rest ist kaum von Belang, Euer Ehren. Ich will nur sagen, dass die Verheerung mich zerriss, das Gebäude zum Einsturz brachte. Was war er letztlich schon? Nichts als eine Illusion, die ich heraufbeschworen hatte, um die Antwort zu liefern, die ich mir selbst nicht geben konnte, obwohl ich sie die ganze Zeit gewusst hatte. Als ich mich endlich aufrappelte und mir mit zitternden Händen in der Küche ein Glas Leitungswasser holte, fiel mir ein kleiner Tisch ins Auge, auf dem etwas Kleingeld und Gads Autoschlüssel lagen. Ich zögerte nicht. Ich nahm ihn und ging am verstreuten Inhalt meiner Handtasche vorbei aus der Wohnung. Das Auto war gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite geparkt. Ich schloss es auf und setzte mich ans Steuer. Im Rückspiegel sah ich mein vom Weinen verquollenes Gesicht, mein Haar war verfilzt, das Grau schimmerte durch. Jetzt bin ich eine alte Frau, dachte ich. Heute bin ich eine alte Frau geworden, und fast hätte ich gelacht, ein kaltes Lachen, das der Kälte meines Inneren entsprach.
    Über die Bordkante rumpelnd, lenkte ich das Auto auf die Fahrspur. Ich folgte einer Straße und dann einer anderen. Als ich an eine mir vertraute Kreuzung kam, bog ich in Richtung Ein Karem ab. Ich dachte an den alten Mann in der Ha’Oren-Straße. Ich wollte nicht zu ihm, aber ich fuhr dorthin. Bald hatte ich mich verirrt. Die Scheinwerfer glitten über Baumstämme, die Straße führte zum Jerusalemer Wald und fiel auf einer Seite ab, wo es den Hang in eine Schlucht hinunterging. Ein Ruck am Steuer hätte genügt, um das Auto in die dunkle Tiefe zu stürzen. Mit verkrampften Fingern ans Lenkrad geklammert, stellte ich mir den durch die Finsternis hüpfenden Lichtkegel vor, die nach oben gekehrt im Leeren sich drehenden Räder. Aber was es auch sei, was einen Menschen fähig macht, sich auszulöschen – ich habe es nicht. Ich fuhr weiter. Aus

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