Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
blitzten seine Zähne, wie die eines Schäferhundes: gelblich, groß, grausam. Seine Hose, die Stiefel, der verwaschene Poncho waren zerschlissen, sehr schmutzig, desgleichen sein Hut. Er trug keine Waffen.
Als er erwachte, richtete er sich ruckhaft auf, nahm eine abwehrbereite Haltung ein: unter den geschwollenen Lidern prüften seine Augen unruhig die vielen Gesichter. Von allen Seiten lächelte man ihn an, streckte ihm spontan die Hand hin, ein Greis arbeitete sich mit den Ellbogen zu ihm durch und reichte ihm eine Kalebasse mit kühlem Wasser. Da lächelteder Unbekannte. Langsam trank er, kaute das Wasser mit Genuß, seine Augen blickten erleichtert. Das Murmeln wurde lauter, alle waren darauf aus, sich mit dem Neuangekommenen zu unterhalten, fragten ihn nach seiner Reise, bemitleideten ihn wegen des Todes seines Maultiers. Er lachte jetzt behaglich, schüttelte viele Hände. Dann riß er mit einem Zug die Quersäcke von der Montur des Tieres und erkundigte sich nach einem Hotel. Umringt von hilfsbereiten Einwohnern, überquerte er die Plaza de Armas und betrat die ›Estrella del Norte‹: es war kein Zimmer frei. Die Leute beruhigten ihn, viele Stimmen boten ihm Gastfreundschaft an. Er quartierte sich bei Melchor Espinoza ein, einem Alten, der allein wohnte, am Malecón, nahe bei der Alten Brücke. Er besaß ein kleines Stück Land, ziemlich weit entfernt, am Chira, wo er monatlich zweimal nach dem Rechten sah. In jenem Jahr schlug Melchor Espinoza den Rekord: er nahm fünf Fremde bei sich auf. Gewöhnlich hielten sie sich nicht länger in Piura auf, als sie brauchten, um eine Baumwollernte zu kaufen, einiges Vieh zu verkaufen, irgendwelche Produkte an den Mann zu bringen; das heißt, ein paar Tage, höchstens ein paar Wochen.
Der Fremde dagegen blieb da. Die Einheimischen brachten wenig über ihn in Erfahrung, fast nur, was er nicht war: er war kein Viehhändler, kein Steuereintreiber, kein Handlungsreisender. Er nannte sich Anselmo und behauptete, Peruaner zu sein, aber niemand vermochte aus seinem Akzent auf seine Herkunftzu schließen: er hatte nicht die zögernde und weibische Sprache der Limeños, auch nicht den singenden Tonfall eines Chiclayano; er sprach die Wörter nicht mit der Perfektionssucht der Leute von Trujillo aus, noch konnte er serrano sein, denn er schnalzte beim R und S nicht mit der Zunge. Seine Aussprache war anders, sehr melodisch und ein wenig lässig, ungewöhnlich die Wendungen und Ausdrücke, die er benutzte, und wenn er debattierte, ließ die Heftigkeit seiner Stimme an einen Anführer der Montoneras denken. Die Quersäcke, sein gesamtes Gepäck, mußten voller Geld sein: Wie hatte er nur die Sandwüste durchqueren können, ohne von den Bandoleros überfallen zu werden? Es gelang den Piuranern nicht, herauszufinden, woher er kam, noch warum er Piura zu seinem Ziel gewählt hatte.
Am Tag nach seiner Ankunft tauchte er rasiert auf der Plaza de Armas auf, und die Jugendlichkeit seines Gesichts überraschte alle Welt. Im Laden des Spaniers Eusebio Romero erstand er eine neue Hose und Stiefel; er bezahlte bar. Zwei Tage später bestellte er bei Saturnina, der berühmten Hutflechterin aus Catacaos, einen weißen Panamahut, einen von denen, die man in die Tasche stecken kann und die hinterher doch nicht eine einzige Falte aufweisen. Jeden Vormittag erschien er auf der Plaza de Armas und lud, sobald er es sich auf der Terrasse der ›Estrella del Norte‹ bequem gemacht hatte, die Passanten zum Trinken ein. So gewann er sich Freunde. Er war gesprächig undscherzte gern und eroberte die Nachbarn, indem er den Charme der Stadt lobte: wie sympathisch die Leute waren, wie schön die Frauen, wie herrlich die Abenddämmerung. Bald machte er sich die lokalen Sprachformeln und den sinnlichen, trägen Tonfall zu eigen: schon nach wenigen Wochen sagte er guá , um Erstaunen auszudrücken, nannte die Kinder churres , die Esel piajenos , bildete Superlative von Superlativen, wußte den Clarito von der öligen Chicha und die Vielfalt von Picantes zu unterscheiden, war mit den Namen der Personen und der Straßen vertraut und tanzte den Tondero wie die Mangaches.
Seine Wißbegier hatte keine Grenzen. Er legte ein heißhungriges Interesse für die Sitten und Bräuche der Stadt an den Tag, ließ sich mit wahrer Lust am Detail vom Leben und Sterben ihrer Einwohner berichten. Er wollte alles wissen: wer die Reichsten waren und warum und seit wann; ob der Präfekt, der Alcalde und der Bischof
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