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Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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die Wahrheit. Hast du sie nicht weinen sehen? Hast du nicht gesehen, wie sie sich aneinander festgehalten haben? Und gegessen haben sie auch nichts, wie Madre Griselda sie in die Küche mitgenommen hat, hast du das nicht gesehen?«
    »Es ist nicht ihre Schuld, daß sie sich so benehmen«,sagte die Oberin. »Sie haben nicht wissen können, daß man sie zu ihrem Besten hierhergebracht hat, sie haben gemeint, wir würden ihnen etwas antun. Ist es nicht immer so, bis sie sich eingewöhnen? Sie haben es nicht gewußt, aber du hast gewußt, daß es zu ihrem Besten ist, Bonifacia.«
    »Mir haben sie aber trotzdem leid getan«, sagte Bonifacia. »Was hätt ich denn tun sollen, Madre?«
    Bonifacia kniet nieder, hält die Lampe an die Säcke, und da sind sie: wie zwei Aale ineinander verschlungen. Eine hat den Kopf an der Brust der andern begraben, und die, mit dem Rücken gegen die Wand, kann das Gesicht nicht verbergen, als das Licht in ihr Versteck eindringt, schließt nur die Augen und stöhnt. Noch haben sie weder die Schere Madre Griseldas noch das rötliche, brennende Desinfektionsmittel zu spüren bekommen. Voll, dunkel, über und über von Staub bedeckt, von Strohhälmchen, zweifellos wimmelnd von Nissen, fluten die Haare über die nackten Rücken und Oberschenkel, gleichen Miniaturmisthaufen. Zwischen den schmutzigen und verklebten Strähnen sieht man die schwächlichen Glieder, Streifen matter Haut, die Rippen.
    »Es war wie zufällig, Madre, nicht beabsichtigt«, sagte Bonifacia. »Ich hab nicht die Absicht gehabt, hatte überhaupt nicht daran gedacht, wirklich.«
    »Beabsichtigt hast du es nicht, daran gedacht hast du auch nicht, aber du hast sie ausreißen lassen«, sagte die Oberin. »Und nicht nur diese beiden, sondernauch die andern. Du hast alles schon seit langem mit ihnen abgesprochen gehabt, nicht wahr?«
    »Nein, Madre, ich schwör’s dir«, sagte Bonifacia. »Es war vorgestern abend, das Essen hab ich ihnen gebracht, hierher, in die Vorratskammer. Wenn ich mich daran erinnere, erschreck ich, ich war eine andere, und ich hab geglaubt, es war Mitleid, aber wer weiß? vielleicht hat mich doch der Teufel verführt, wie du sagst, Madre.«
    »Das ist keine Entschuldigung«, sagte die Oberin. »Versteck dich nicht immer hinter dem Teufel. Wenn er dich versucht hat, dann weil du dich hast versuchen lassen. Was soll das heißen, daß du eine andere warst?«
    Unter dem Haargestrüpp haben die beiden ineinander verschlungenen Leiber zu zittern angefangen, das Beben der einen steckt die andere an, und das Zähneklappern gleicht dem von kleinen verschreckten Äffchen, wenn man sie in einen Käfig steckt. Bonifacia blickt zur Tür der Vorratskammer, beugt sich vor und beginnt langsam, in unreinen Tönen, beschwichtigend, zu grunzen.
    Etwas verändert sich, so als sei ein Hauch frischer Luft in die Dunkelheit der Vorratskammer gedrungen. Unter dem verdreckten Gestrüpp hören die Körper auf zu zittern, zwei Köpfchen beginnen eine vorsichtige, kaum merkliche Bewegung, und Bonifacia krächzt weiter, schnalzt begütigend.
    »Sie sind unruhig geworden, von dem Moment an,wo sie sie gesehen haben«, sagte Bonifacia. »Sie haben miteinander getuschelt, und wenn ich dazugekommen bin, haben sie schnell von was anderem gesprochen. Sie haben sich verstellt, Madre, aber ich weiß, daß sie von den Heidenmädchen geredet haben. Weißt du nicht mehr, wie sie sich in der Kapelle benommen haben?«
    »Aber was gab’s denn, um unruhig zu werden?« sagte die Oberin. »Es war doch nicht das erste Mal, daß sie zwei Mädchen in die Mission haben kommen sehen.«
    »Ich weiß nicht, Madre«, sagte Bonifacia. »Ich erzähl dir nur, was los war, warum es so war, weiß ich nicht. Sie werden halt an die Zeit gedacht haben, wo sie selber gekommen sind, ja, das wird’s gewesen sein.«
    »Was war nun in der Vorratskammer mit den beiden Kleinen?«, sagte die Oberin.
    »Versprich mir zuerst, daß du mich nicht fortschicken wirst, Madre«, sagte Bonifacia. »Ich hab die ganze Nacht gebetet, daß du mich nicht fortschickst. Was soll ich denn allein tun, Madre? Ich werd mich bessern, wenn du mir’s versprichst. Und dann sag ich dir alles.«
    »Bedingungen willst du mir stellen, um deine Missetaten zu bereuen?« sagte die Oberin. »Das hat noch gefehlt. Und ich begreife nicht, warum du noch in der Mission bleiben willst. Hast du die Mädchen nicht ausreißen lassen, gerade weil es dir leid getan hat, daßsie hier waren? Dann müßtest du doch

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