Das gruene Zelt
blickte mit ihren durchsichtigen gelblichen Augen in die Ferne. Sie wollten schon zur Metro gehen, da hatte Tamara eine Idee.
»Ilja, steig ins Auto und ruf sie.«
»Schlau«, lobte Ilja ihren Einfall, setzte sich ans Steuer, legte eine Hand auf den Beifahrersitz und sagte: »Platz!«
Kurzes Nachdenken spiegelte sich in Geras Augen, dann stand sie auf, sprang mühelos auf den Sitz und legte sich mit ausgestreckten Vorderpfoten hin. Und seufzte wie ein Mensch. Es war eindeutig zu eng für sie, aber ihr Hundegesicht spiegelte würdevolle Ergebenheit.
Tamara setzte sich nach hinten, und sie fuhren los.
Am Abend rief Tamara Olga an und sagte, der Hund sei weggelaufen. Er habe sich samt der Leine, die Tamara nicht habe halten können, losgerissen und sei weggerannt.
Tamara war lange durch die umliegenden Höfe gelaufen, hatte Hundehalter gefragt, aber niemand hatte die Laikahündin gesehen. Am nächsten Tag hängten sie in den umliegenden Häusern und an der Metrostation Molodjoshnaja Zettel auf und warteten. Aber niemand meldete sich.
Ilja hatte sich indessen mit Vertretern des Hilfsfonds getroffen und gefragt, ob sie dem Mädchen, dessen Eltern im Lager saßen, nicht irgendwie helfen könnten. Sie hatten versprochen, die Sache zu prüfen.
Nach drei Tagen klingelte Marina am frühen Morgen an der Tür.
Olga erzählte ihr sofort, dass der Hund weggelaufen sei. Marina ließ sich im Flur auf den Fußboden fallen und schlug die Arme vor den Kopf. Als sie sie wegnahm, sah Olga, dass ihr ganzes Gesicht mit kleinen roten Geschwüren bedeckt war.
»Mein Gott, was ist denn mit dir los? Eine Allergie?«, rief Olga.
»Nein. Ich muss ins Bad! Ich hätte nicht fahren sollen. Nichts als Ärger.« Marina schniefte und rannte ins Bad, ohne den Mantel auszuziehen.
Sie duschte lange, bis Kostja aufwachte. Er musste sich die Zähne putzen und sich für die Schule fertigmachen. Olga klopfte an die Badezimmertür – sie wurde sofort geöffnet. Marina, dürr wie ein Fischskelett, voller Kratzspuren, roter und blauer Flecke, stand in nassem Slip und BH vor ihr. Ihre gesamte Kleidung schwamm in der Wanne, und die Wasseroberfläche war mit kleinen dunkelroten Klümpchen übersät. Lieber Gott, das waren Wanzen!
Olga schickte Kostja zum Waschen in die Küche. Sie machte ihm rasch Frühstück und verabschiedete ihn in die Schule. Dann nahm sie ein Nachthemd aus der Kommode und gab es Marina.
»Komm Kaffee trinken.«
Ilja war verreist. Wäre er zu Hause gewesen, hätten sie nicht so miteinander geredet, wie zwei Schwestern – die erwachsene Olga und die jüngere, verwirrte und von einem Wanzenheer geschundene Marina.
»Die erste Nacht war ein einziges Besäufnis. Da war mein Bekannter dabei, das miese Schwein, erst lädt er mich dauernd ein, dann haut er mitten in der Nacht mit irgendeinem Mädchen ab und lässt mich mit lauter Fremden allein. Am Morgen sind wir alle zusammen losgezogen und den ganzen Tag durch Piter gelaufen, haben in kleinen Kneipen Wodka getrunken, es hat geregnet und war kalt, keiner hat mir ein Nachtquartier angeboten, und mein Bekannter war verschwunden. Ich rufe bei ihm an, da heißt es, er sei schon eine Woche nicht mehr zu Hause gewesen. Was sollte ich tun? Ich bin zum Bahnhof, aber Fahrkarten – totale Fehlanzeige. Ich hab noch ein Mädchen angerufen, die Freundin meiner Bekannten, und die hat mich eingeladen, mit ihr einen draufzumachen. Ich hab drei Stunden auf dem Moskauer Bahnhof auf sie gewartet. Sie sah schrecklich verkommen aus, aber ich bin mit ihr mit.
Sie ist mit mir ins ›Saigon‹ gegangen, das ist so ein Café wie bei uns das ›Molodjoshnoje‹. Mir hat’s gefallen, wir haben ein paar Jungs kennengelernt. Mit denen sind wir rausgefahren nach Peterhof, dort haben wir zwei Tage rumgehangen. Mein Geld war aufgebraucht. Dann sind alle abgehauen, waren plötzlich weg, bis auf zwei Jungs – die haben mich in ein Uniwohnheim gebracht, das war fast leer. Die Studenten sind alle in den Ferien, nur irgendwelche Banditenvisagen liefen da rum … Na ja, jedenfalls … Also, wir wollten in einem Zimmer dort übernachten. Hier lasse ich ein bisschen was weg, damit du dich nicht so aufregst. Ich hab bis zum letzten Moment nichts kapiert, aber auch nicht geschrien. Wozu auch – selber schuld. Das hatte ich von meinem Dickschädel. Also, ich hab mich ein bisschen gewehrt, aber das waren kräftige Kerle, die haben mich plattgewalzt. Dann bin ich umgekippt wie tot. Ich sag’s ehrlich, ich hab mich
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