Das gruene Zelt
verdienter Mann. War mal Generalmajor«, sagte Dymschiz gewichtig und mit Nachdruck. »Frontsoldat. Zwei Verwundungen, eine Kopfverletzung – das sollten Sie beachten. Große Verdienste. Auszeichnungen. Hat er alles verloren. Durch nicht adäquates Verhalten. Er trinkt … Seine Psyche ist eindeutig gestört. Selbstüberschätzung, Größenwahn. Hier drin ist ein Gutachten der ambulanten Kommission. Ich denke, die haben die Sache nicht ganz richtig eingeschätzt. Auch Sie werden das hoffentlich tun!«
Die letzten Worte sagte er mit Nachdruck, wobei er jede Silbe betonte.
Eine tiefe, Übelkeit erregende Unruhe überkam Dulin.
Obwohl, wieso mache ich mich verrückt, wieso, fragte sich Dulin. Aber er kam nicht zum Nachdenken.
»Hier, die Anamnese, die Epikrise. Der Gutachtenentwurf der Kommission. Sie sollen für die Begründung der Diagnose die Rolle der Alkoholepisoden beurteilen. Und das entsprechend im Krankenblatt festhalten.« Dymschiz schlug die Mappe auf und blätterte darin. »Es gibt bereits ein älteres Gutachten, das wurde ambulant erstellt. Hier, das Gutachten von 1968. Wir haben einige Zweifel daran. Wir möchten, dass Sie den Patienten untersuchen und Ihre Meinung darlegen. Wir haben bereits einen vorläufigen Eindruck gewonnen … Kurzum, Sie werden sehen …«
Er ging zu Dulin, der stand auf und nahm die Mappe entgegen.
»Die Meinung der Kommission ist ungünstig ausgefallen, man sieht paranoide Züge. Womöglich eine alkoholbedingte Paranoia? Sie haben das letzte Wort, Sie sind der Fachmann. Aber es gibt eine vorläufige Einschätzung. Kurz, sehen Sie sich den Patienten an. Margarita Glebowna!«
Margarita Glebowna erschien wie aus dem Nichts.
»Gibt es Alkoholepisoden?«, fragte Dulin schüchtern.
»Hm, tja«, antwortete Dymschiz unbestimmt. »Eine auf jeden Fall: Bei seiner Verhaftung war er betrunken.«
Dymschiz stand auf. Die Audienz war beendet.
Margarita Glebowna drängte Dulin hinaus in den Flur.
Mit zwei Fingern wischte sie sich die Mundwinkel ab, als entfernte sie Lippenstiftreste.
»Hier im Arztzimmer können Sie sich mit den Papieren vertraut machen, und dann zeige ich Ihnen den Patienten.«
Dulin schlug den Hefter auf und studierte die Papiere. Pjotr Petrowitsch Nitschiporuk, zweiundsechzig Jahre alt. Zwei Verwundungen, eine Kopfverletzung, organische Schäden … Wer hat die nicht? Die Aufzeichnung eines Gesprächs mit einem Psychiater … Ein Protokoll … Dmitri Stepanowitsch traute seinen Augen nicht: Was dieser General da erzählte, wagte er kaum zu lesen! Das war doch reiner Irrsinn! »Warum haben Sie eine illegale Organisation gegründet?« Ein Antisowjetschik, ein richtiger Antisowjetschik! Weiter … »Die Organisation heißt BEL – Bund echter Leninisten …« Also kein Antisowjetschik, im Gegenteil … Was war das, das Gegenteil? »Wie hoch war Ihr Gehalt, Pjotr Petrowitsch?« Eine seltsame Frage für einen Psychiater. Ah, klar, alles klar. Siebenhundert Rubel. Dulin wusste gar nicht, dass es solche Gehälter überhaupt gab … Weiter, weiter … »Was hat Ihnen denn da gefehlt, Pjotr Petrowitsch, bei einem solchen Gehalt? Der Staat hat Ihnen doch alles gegeben.« Ja. Schwer zu verstehen. In der Tat, bei einem solchen Gehalt – was hatte er da gegen den Staat? Ach, da war es, da … Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei hatte ihm nicht gefallen. Er hatte sich öffentlich geäußert … Verleumdung … Alles klar. Aber warum erzählt er solche Dinge dem Psychiater, wozu?
Dulins Blick huschte über rot unterstrichene Worte wie »geistige Bruderschaft«, »moralische Vervollkommnung«, »volksfeindliche Macht der Partokratie« und schließlich »heilige Sache des Sozialismus«. Ein komischer Kerl, aber kein Verrückter, bloß ein Spinner, lautete Dulins vorläufiges Urteil. Vierzig Minuten lang studierte er die Aufzeichnungen.
Dann wurde der Patient gebracht – ein hochgewachsener dünner Mann in Krankenhauspyjama und Filzpantoffeln. Er blieb an der Tür stehen, eine Hand hinterm Rücken, den Kopf leicht gesenkt. Mit ihm kam noch ein zweiter, etwas kleinerer Mann herein und setzte sich auf den Stuhl neben der Tür.
»Guten Tag, Pjotr Petrowitsch, ich bin Psychiater, Doktor der Medizin, Dmitri Stepanowitsch Dulin. Ich möchte Sie untersuchen und mich mit Ihnen unterhalten. Kommen Sie bitte hierher.« Dulin zeigte auf einen Stuhl neben sich.
»Wie geht es Ihnen? Irgendwelche Beschwerden?«
Der Exgeneral lächelte und sah Dulin an. Ein zu
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