Das Habitat: Roman (German Edition)
Campus. Dies zumindest war die Bezeichnung die Malcolm stets gebrauchte, wenn er von dieser Anlage in ihrer Gesamtheit sprach. Von ihm hatte ich auch erfahren, dass das riesige Areal einst ein College gewesen war. Damals, in der alten Zeit vor dem Neubeginn. Darunter verstand man eine Art Schule. Diese jedoch hatte nichts gemein gehabt mit der Schule in Ballynakill, wie ich schnell merken sollte. Tausender junger Menschen mussten hier gleichzeitig ausgebildet worden sein – weit mehr als zum Beispiel das heutige Ennis überhaupt an Einwohnern zählte. (Wiedereinmal wurde ich mir bewusst, wie selbstverständlich ich mittlerweile mit Zahlen umging, die mir noch vor einem Jahr unvorstellbar gewesen wären.) Bei weitem nicht alle der unzähligen Gebäude wurden regelmäßig benutzt, doch schienen alle sorgsam instand gehalten zu werden. Ebenso wie der große braungraue Bau, auf den ich gerade zusteuerte.
Niemand hinderte mich, oder schien auch nur das geringste Interesse an dem zu bekunden, was ich tat. Donahugh hatte auch in diesem Punkt sein Wort gehalten. Ich durfte mich auf dem Gelände frei bewegen. Dass mir viele der Türen – oder sogar ganze Gebäudekomplexe – verschlossen blieben, das merkte ich schnell. Ebenso wie die Tore zur Außenwelt, welche an verschiedenen Stellen der unüberwindbaren Mauer zu finden waren. Sensoren – was immer das auch sein mochte –, so hatte Malcolm mir zu erklären versucht, erfassten jeden der sie zu passieren suchte, und schienen genau zu wissen, wem sie Durchgang gewähren durften und wem nicht. Nun, Sarina, ihr Vater und ich – wir gehörten fraglos zur letzteren Sorte. Zudem, ich hatte noch immer gut in Erinnerung, was ich im Monitorraum der Bewahrer entdeckt hatte. Sie schienen in der Lage zu sein, jeden meiner Schritte zu verfolgen und genau zu wissen, wo ich mich gerade aufhielt. Ich hatte versucht, Malcolm daraufhin anzusprechen, jedoch nur eine ausweichende Antwort erhalten. Das war mir sehr seltsam erschienen, zumal er mir doch sonst freimütig über alles Auskunft gab, was ich wissen wollte.
Drei Tage waren wir nun schon hier. Ich vermutete, dass die Bewahrer mittlerweile wussten, dass sie nicht Marten, sondern jemand ganz anderen gefangen hielten. Ich hatte zunächst damit gerechnet, dass Donahugh mich wieder zu sich rufen würde, um weiter auf mich einzudringen, mein vermeintliches Wissen preiszugeben. Doch das war nicht passiert. Dafür aber hatte ich lange Gespräche mit Malcolm geführt. Dieser hatte versucht, mich von der Notwendigkeit zu überzeugen, dem Begehren der Bewahrer – und somit auch der Kirche – nachzugeben. Es sei schließlich zu unser aller Nutzen, dass die Wahrheit geheim bleibe. Es galt eine Kultur zu erhalten und letztendlich sogar eine ganze Welt neu aufzubauen. Ich wusste, er war überzeugt von dem was er mir da sagte und seine Argumente klangen plausibel. Auch schien er mir mein Schweigen nicht übel zu nehmen – doch ließ er mich deutlich spüren, dass er gänzlich anderer Meinung war. Donahughs Absicht war unverkennbar. Er rechnete damit, dass der Freund mich überreden würde. Allerdings schien der Bewahrer nicht zu ahnen, wie tief verwurzelt unsere Freundschaft tatsächlich war. Würde er sich dessen bewusst werden – so rechnete ich mir aus –, wäre es wahrscheinlich schnell vorbei mit meiner Bewegungsfreiheit. Sicher, Malcolm tat alles daran, mich zu überzeugen, doch würde er mich niemals hintergehen oder gar mich mit seinen geschickten Reden, in eine Falle zu locken versuchen. Dafür war er viel zu aufrichtig. Er glaubte sich im rechten Sinne und war überzeugt davon, dass auch ich das früher oder später einsehen würde. Und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich begann mich mehr und mehr zu fragen, ob er nicht womöglich recht haben mochte.
Dies war einer der Gründe gewesen, die mich dazu bewogen hatten, alleine loszuziehen. Sarina und ihr Vater hatten sich in die Mensa begeben (die wir wie selbstverständlich aufsuchten, wenn wir Hunger hatten, oder einfach nur einen Tee zu uns nehmen wollten). Auch Malcolm hatte sich heute noch nicht sehen lassen. Er arbeitete an einem wichtigen Projekt, deren sämtliche Erklärungsversuche an meinem Schädel gescheitert waren.
Immer wieder ließ ich mir durch den Kopf gehen, was der Freund mir gesagt hatte – und auch das was ich von Donahugh erfahren hatte. Natürlich, beide hatten sie recht. Es ging um den Aufbau einer neuen Welt. Hatte ich da wirklich das Recht, ihnen
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