Das Habitat: Roman (German Edition)
vorzuenthalten was ich wusste – so wenig dies auch war? Und würden sie sich damit zufrieden geben, meinen Kontaktmann zu kennen – zumal dieser obendrein auch noch verschwunden zu sein schien. Was hatte ich sonst noch anzubieten? Da war die Parole mit der man zu erkennen gab, dass man überhaupt das Vertrauen genoss, zu Douglas selbst vorgelassen zu werden. Wirf mich hinüber! – Wirst du auch stehen ? Je länger ich über diese Worte nachdachte, desto weniger Sinn schienen sie zu ergeben. Dennoch, sie mussten von entscheidender Bedeutung sein, wollte man diesen ominösen Douglas finden. Denn nicht einmal Ian schien von ihnen gewusst zu haben.
Doch immer wieder kehrten meine Gedanken zurück zu meinem Vater. Durfte ich ihn wirklich verraten? Oder war es nicht vielmehr so, dass er mich verraten hatte? Nicht zum ersten Mal drängte sich mir der Gedanke auf, dass er mich und meine Mutter damals in größte Gefahr gebracht hatte. Sie hatte es schließlich sogar das Leben gekostet! Und für was eigentlich? Für die wage Idee der Unabhängigkeit vom Gängelband der Kirche? Und war dieses denn wirklich so unerträglich, dass man bedenkenlos dafür bereit sein durfte, das Leben seiner Familie dafür aufs Spiel zu setzen?
Und ich – so ging es mir eine Weile schon durch den Sinn – was war mit mir? Hatte ich wirklich das Recht gehabt, Sarina – und damit gleich auch noch ihre ganze Familie – da mit reinzureißen. Je länger ich darüber nachdachte, desto schuldiger fühlte ich mich. Sicher, ich wusste mittlerweile, dass Sarinas Mutter, bevor wir uns auf den Weg zu Ian gemacht hatten, von ihrem Mann zu Freunden geschickt worden war, die ein gutes Stück weit außerhalb lebten, um dort Unterschlupf zu suchen. „Nur für den Fall, dass etwas schief geht“, hatte er ihr gesagt. Und die Tatsache, dass sie noch nicht hier aufgetaucht war, um als weiteres Druckmittel zu dienen, zeigte, dass sie es irgendwie geschafft hatte, verborgen zu bleiben. Doch minderte dies meine Schuldgefühle kein bisschen.
Ja, je länger ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, ich sollte zu Sarina und ihrem Vater gehen und ihnen sagen, dass ich bereit wäre, der Kirche alles zu sagen was ich wusste. Wer weiß – vielleicht zog Sarina ja sogar in Betracht, das Angebot Donahughs zu überdenken, mit mir nach Ballynakill zu gehen. Mein Herz tat einen regelrechten Sprung, als ich daran dachte. Doch dann verdrängte ich diesen Gedanken auch schnell wieder. Sie würde ihre Familie niemals zurücklassen.
In derartige Überlegungen vertieft erreichte ich die große hölzerne Eingangstür des imposanten Gebäudes. Dieses Gebäude war der eigentliche Grund gewesen, warum ich mich entschlossen hatte, alleine loszuziehen. Zum ersten Mal fand ich Gelegenheit, einer Sache nachzugehen, die mich schon bewegte, seit ich in jener Nacht einen ausgiebigen Blick auf die Karte Irlands hatte machen dürfen.
Der Bau war eine Bibliothek gewaltigen Ausmaßes. Und doch war es nur eine von mehreren, die sich auf dem Campus verteilt fanden. Auch das hatte Malcolm uns in ehrfurchtsvollem Ton erklärt, als er uns am ersten Tag überall herumgeführt hatte.
Gerade wollte ich die schwere Türklinke niederdrücken, da nahm ich aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahr. Ich wandte den Kopf und sah wie eine langhaarige blonde Gestalt eines der Nebengebäude betrat. Ich rief sie sofort an, doch schon schloss sich die gläserne Tür hinter ihr. Ich lief hinüber. Keuchend stand ich schließlich davor, doch die Erscheinung war verschwunden. Nur mein Spiegelbild reflektierte sich in den Scheiben. Es war unverkennbar eine jener Sensortüren, zu denen ich keinen Zugang hatte, denn sie blieb verschlossen.
Ich stand davor und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Hatte ich mich etwa getäuscht? Hatte ich im hellen Sonnenlicht etwas zu sehen geglaubt, was sich genauer betrachtet als völlig unsinnig erweisen würde? Nein, das konnte ich nicht glauben! Ich war mir ganz sicher – die Gestalt, welche kurz zuvor durch diese Tür getreten war, war Eileen gewesen. Eileen, die so plötzlich aus dem Waisenhaus von Ennis verschwunden war und von welcher der Bischof mir, auf meine Nachfrage hin, gesagt hatte, sie wäre nun wieder zu hause .
Eileen jedoch sollte nicht der einzige Mensch bleiben, der mir an diesem Tag unvermutet über den Weg lief. Obwohl ich es eigentlich hätte erwarten sollen, fuhr ich doch unwillkürlich zusammen, als der hagere Mann mit
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