Das Habitat: Roman (German Edition)
auf mich nehmen sollte, würde ich die Fragen, ohne zu zögern, beantworten können müssen.
Seamus war mir während dieser Zeit eine große Hilfe. Er unterstütze mich bei meinen Schulaufgaben und kannte seinen Katechismus auswendig. Er würde die Freisprechung ohne Mühe bestehen. Unsere Freundschaft wurde allenthalben als sehr positiv aufgenommen. Seamus würde zweifellos zu einem tragenden Glied der Gemeinschaft heranreifen. Schon von klein auf hatte er großes Interesse an den Gemeindeaktivitäten gezeigt. Er war bei den Mutantensuchern und Pater O’Malley’s eifrigster Ministrant. Ich muss zugeben, dass ich später gelegentlich den Verdacht hegte, dass seine Freundschaft zu mir von dem Pater angeregt wurde, um so meine Entwicklung in die gefälligen Bahnen zu lenken. Doch ich möchte dem armen Seamus nicht Unrecht tun. Er erwies sich stets als verlässlicher Freund.
Der milde Winter ging in einen frühen Frühling über. Mein Vater war während dieser Zeit noch häufiger unterwegs als gewöhnlich. Wenn er zurück war, zog er sich oft stundenlang in sein Arbeitszimmer zurück, das niemand außer ihm betreten durfte. Auch ich hatte es nie gewagt.
Ich muss zugeben, dass ich mich nur selten fragte, was er da ständig auswärts zu erledigen hatte. Im Dorf wurde bereits gemunkelt, doch mein Vater war der wohlhabendste Farmer der Umgegend und somit einer der einflussreichsten Leute im Dorf, so dass nur sehr leise und hinter vorgehaltener Hand über ihn geredet wurde. Ich wusste nicht, ob die Missbilligung, die er durch seine häufigen Reisen hervorrief, je bis zu seinen Ohren vorgedrungen war. Ich für meinen Teil genoss zu sehr die Freiheiten, die für mich mit seinen häufigen Abwesenheiten verbunden waren, um mich wirklich groß damit auseinander zu setzen.
Die Geschehnisse jener Nacht, auf der Farm der Conners, und diese gespenstischen Fremden waren längst in den Hintergrund meiner Gedanken getreten, als sie sich plötzlich wieder mit aller Wucht in mein Leben drängten.
Mein Vater war wieder einmal unterwegs. Im Haus war bereits seit Stunden alles still. Ich hatte meine Lampe längst gelöscht und lag, mit hinter dem Kopf verschränkten Händen, auf meinem Bett. Ich hatte bis spät in die Nacht meinen Katechismus studiert. Doch wie immer schienen all meine Anstrengungen vergebens. Es war als wolle mein Kopf all die Antworten einfach nicht behalten. Sobald ich einen neuen Abschnitt endlich mühsam auswendig gelernt hatte, schien ein anderer dafür aus meiner Erinnerung zu weichen. Es war zum Verzweifeln!
Obgleich ich mich darum bemühte, fand ich einfach keinen Schlaf. Schließlich verspürte ich Durst. Nun, wenn ich ohnehin nicht einschlafen konnte, dann konnte ich mich genauso gut hinunter in die Küche schleichen und mir einen Becher Milch holen. Und wenn ich schon dabei war, so überlegte ich mir, ein Stück von dem Pflaumenbrot, das meine Mutter an diesem Nachmittag gebacken hatte, könnte ich mir wohl auch stibitzen. Auf Zehenspitzen schlich ich die Treppe hinab und achtete darauf, die knarrende Stufe auf halber Höhe zu übergehen. Zwar hatte ich kein Licht mitgenommen, doch durch die Fenster fiel gerade genügend Mondlicht herein, dass ich meinen Weg mühelos fand.
Ich kam gerade an der Tür zum Arbeitszimmer vorbei und wollte mich zur Küche, am Ende des Ganges, schleichen, als ich leise Geräusche aus dem Zimmer zu hören glaubte. Ich blieb stehen und lauschte. Da entdeckte ich einen schwachen Schein unter dem Türspalt. Kurz nur – doch er war da gewesen, da war ich mir sicher. Offenbar war mein Vater spät in der Nacht zurück gekommen. Ich wunderte mich darüber, dass ich ihn nicht hatte kommen hören. Vorsichtig lauschte ich in die Finsternis. Da – wieder ein leises Geräusch! Als ob Schubladen aufgezogen wurden. Ich hatte schon beschlossen, mich zurück auf mein Zimmer zu schleichen, da glaubte ich plötzlich, leise Stimmen aus dem Arbeitszimmer zu hören. Ich hielt den Atem an und lauschte. Ich wollte gerade vorsichtig ein Ohr an die Tür pressen, als mich plötzlich ein starker Arm von hinten packte und fest umklammert hielt. Gleichzeitig legte sich eine Hand über meinen Mund und verhinderte, dass ich irgendeinen Ton von mir gab. Ich war erstarrt vor Schreck, und noch ehe ich anfangen konnte mich zu wehren, flüsterte mir eine leise Stimme ins Ohr:
„Keinen Laut, Liam!“
Es war die Stimme meines Vaters. Ich nickte und er nahm die Hand von meinem Gesicht. Ich
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