Das Habitat: Roman (German Edition)
beschäftigt. Gerade zur Osterzeit hielten ihn seine unzähligen Pflichten gegenüber der Gemeinde fest im Griff. Auch musste er die Ostermesse vorbereiten. Alleine die Vorbereitungen für das Heilige Abendmahl, nebst penibler persönlicher Zuordnung der geweihten Hostien (jedes Mitglied der Gemeinde erhielt seine ganz persönliche Segnung), würden ihn meiner Schätzung nach Tage kosten.
Es mochte also sogar sein, dass es auch dann noch eine ganze Weile dauern würde, bis er sich um mein Verschwinden kümmern konnte – doch darauf wollte ich mich nicht verlassen. Ich musste zusehen, dass ich Sonntagmittag bereits eine so große Strecke wie möglich zurückgelegt haben würde.
Die folgenden Tage schaffte ich Nahrungsmittel aus dem Haus, sowie einige Dinge, von denen ich annahm, sie könnten mir auf meiner Flucht nützlich sein. Ich mag wohl den Argwohn von Mrs. Cole erregt haben, doch das ließ sich nun einmal nicht vermeiden. Ich wünschte ich hätte mehr Zeit gehabt, all diese Dinge über einen längeren Zeitraum verteilt, verschwinden zu lassen. Doch ich hoffte, wenn sie dahinter kam was vor sich ging, wäre ich längst verschwunden.
Ich verstaute meine Bündel im alten Rosedalehaus. Auch im Räucherhaus der Farm meiner Eltern mochte sich noch das eine oder andere finden lassen – doch ich wusste, seit die Speisekammer mit dem Haus verbrannt war, waren die Vorräte an Wurst und Rauchschinken ziemlich schnell zusammengeschrumpft.
Als am Nachmittag vor Karfreitag Pater O’Malley dem Frauenvereinstreffen des Kreises für Sittlichkeit vorstehen musste, schlich ich mich wieder in die Kapelle. Ich wollte noch einmal hinabsteigen zu jenen geheimen Kellerräumen. Ich erhoffte mir, dort irgendwelche Hinweise zu finden, bezüglich meines Vaters. Doch so sehr ich mich auch mühte – die Madonna ließ sich nicht bewegen. Weder mit, noch gegen den Uhrzeigersinn. Wahrscheinlich gab es irgendeine Vorrichtung, mit der der Mechanismus versperrt werden konnte, um den Abgang vor zufälliger Entdeckung zu schützen.
Zweimal während dieser Tage kam Seamus vorbei. Er machte sich Sorgen um mich, sagte er, da ich noch in mich gekehrter schien als gewöhnlich. Ich gab mich jedoch betont einsilbig und war froh als er wieder ging.
Dann endlich war es soweit. Ich hatte mich nach dem Abendbrot mit einer Entschuldigung zurückgezogen und als ich sicher sein konnte, dass niemand mehr an diesem Abend nach mir sehen würde, kletterte ich aus dem Fenster.
Bald hatte ich die Farm erreicht. Im Gesindehaus brannte noch Licht. Doch das machte nichts. Ich hatte Jack ja erzählt, dass ich Kayleigh holen kommen würde. Und außerdem; Wenn man’s genau nahm, gehörte das Pferd ja ohnehin mir – ebenso wie die gesamte Farm. Dass ich noch nicht freigesprochen war tat da nichts zur Sache.
Ich legte Kayleigh den Sattel auf und zurrte ihn fest. Dann streifte ich ihr das Zaumzeug über und holte noch zwei Säcke mit Hafer, die ich zusammenband und dem Tier überlegte.
Ich wollte die Stute gerade aus dem Stall führen, da ließ mich eine Stimme zusammenzucken.
„Du willst abhauen, Liam, stimmt’s!“
Es war Seamus. Er trat aus dem Schatten und stellte sich mitten in die Stalltür.
„Geh mir aus dem Weg!“, sagte ich.
„Liam. Das führt doch zu nichts. Wo willst du denn hin?“
„Das geht dich nichts an, Seamus. Geh mir aus dem Weg!“, knurrte ich.
Er musste mir bereits vom Pfarrhaus aus gefolgt sein. Mittlerweile kannte er mich wohl gut genug, so dass er offenbar bemerkt hatte, dass in mir etwas vorgegangen war die letzten Tage, was ich versucht hatte, vor ihm zu verbergen.
Er baute sich vor mir auf. Er war größer als ich – und auch ein ganzes Stück kräftiger. Zwar kannte ich einige ganz gute Boxkniffe, doch war mir klar, dass mir das hier nicht wirklich weiterhelfen würde. Ich fühlte Verzweiflung in mir aufsteigen. Selbst wenn es mir gelingen sollte, ihn zu überrumpeln, und an ihm vorbei zu gelangen – er würde wahrscheinlich sofort zu Pater O’Malley laufen. Oh, nicht dass er mir Böses wollte, das ganz sicher nicht. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er wirklich glauben würde, zu meinem Besten zu handeln. Und das war wohl das Schlimmste daran. Auf jemanden der Schlechtes im Sinn hat, kann man sich ja einrichten. Aber oft sind es eben jene, die es eigentlich nur gut mit einem meinen, die einem gerade dadurch die größten Probleme bereiten – eine Erfahrung die ich noch oft im Leben machen
Weitere Kostenlose Bücher