Das Habitat: Roman (German Edition)
hatte.
Ich hatte mir den Namen Neil zugelegt. Doch hatte ich mich nie wirklich daran gewöhnen können, so gerufen zu werden.
Die Schleusenwärter achteten sehr genau darauf, dass die Schleusen keinen Leerhub machten – wie sie es nannten. Befand sich also auf der anderen Seite der Schleuse gerade kein Kahn in Warteposition , so konnte es mitunter auch schon mal einen halben Tag dauern, bis man die Fahrt endlich fortsetzen konnte.
Meist aber warteten bereits genügend Schiffe, so dass sich die Verzögerungen gerade darum einstellten. Dann traf man sich mit den anderen Mannschaften im Haus des Schleusenwärters, oder auf einem der Kähne.
Hier an den Schleusen löste sich für mich schließlich ein weiteres Rätsel. Hatte ich mich zunächst auch gewundert, dass sich während der gesamten Fahrt niemals ein Vertreter der Kirche an Bord hatte blicken lassen, um die Einhaltungen der Richtlinien der Unverderbtheit zu überprüfen, so erfuhr ich nun, dass dies auch gar nicht nötig gewesen war. Jeder Kahn hatte einen Heimatort – wenngleich auch er nur selten dort liegen mochte. Dort aber wurde vom örtlichen Priester eine Urkunde ausgestellt, welche die Einhaltung bescheinigte, und beim passieren jeder Schleuse vorgezeigt werden musste. Sollte ein derartiges Schriftstück nicht vorliegen, so würde dem Kahn die Durchfahrt verweigert. Dies jedoch war, soweit ich in Erfahrung hatte bringen können, noch niemals geschehen. Glücklicherweise nahmen gerade deshalb die Schleusenwärter es nicht allzu genau mit ihrer Überprüfung. Nicht ein einziges Mal, während meiner bisherigen Reise mit der Kathrina, war je einer von ihnen an Bord gekommen, um die Anzahl der tatsächlichen Mannschaftsangehörigen, mit der auf dem Schreiben vermerkten zu vergleichen. Dies jedoch sollte sich schlagartig ändern.
Wir standen bereits seit dem frühen Vormittag vor dem verschlossenen Schleusentor. Aus der Gegenrichtung wollte, so schien es, an diesem Tag einfach kein anderes Schiff kommen. Tom ging brummend an Deck auf und ab. Er verwünschte diese dreimal vermaledeite Verzögerung. Er verfluchte die verdammte Sturheit der Schleusenwärter. Allesamt Schafsköpfe, die man in den Becken ihrer eigenen Schleusen ersäufen sollte. Da täte man sicherlich etwas Gutes. Als nächstes verfluchte er noch die Kapitäne der Kähne, von hier bis Dublin, die wohl alle lieber auf ihrer faulen Haut herum liegen würden, als, wie ehrbare Leute, ihrer Arbeit nachzukommen. Danach verfluchte er noch den Käse, der, in der Hitze des Tages, in den Laderäumen vor sich hindünstete. Dann noch das heiße Wetter an sich – und schließlich wieder die Schleusenwärter.
Ich lag mit übergeschlagenen Beinen auf dem Dach des Steuerhauses und versuchte gerade eine Mücke zu verscheuchen, die mich an der Nase piesackte, da hörte ich wie sich hinter uns ein Kahn näherte. Das ferne Tuckern wurde immer lauter und erstarb erst, als das Schiff, in unserer unmittelbaren Nähe zum Stehen gekommen war. Dass Tom seine Schimpftiraden mittlerweile eingestellt hatte, nahm ich nur am Rande war. Da vernahm ich einen Ruf:
„Tom! Tom O’Sheen! Du alter Halsabschneider! Machst du noch immer die Gewässer unsicher! Ich dachte, du und dein klappriger Kahn, ihr wärt längst abgesoffen!“
Zuerst dachte ich mir nicht allzu viel dabei. Die Flussschiffer wahren raue Leute. Dass sich zwei alte Bekannte derart begrüßten, kam schon mal vor. Dann jedoch merkte ich, wie Kieran und Colm neben mir in die Höhe schossen. Ich blinzelte in den blauen Himmel und erhob mich schließlich gähnend, um zu sehen was es gab.
Kieran hastete über den Steg an Land, wo Tom bereits, mit wütendem Gesichtsausdruck, den Neuankömmlingen entgegensah. Colm stolperte hintendrein. Während dessen hatte der fremde Kahn am Ufer angelegt und vier Gestallten sprangen an Land, die sich alsdann drohend vor Tom und seinen Burschen aufbauten.
Ich war unentschlossen, wie ich mich verhalten sollte. Die Lage schien sich von Augenblick zu Augenblick zuzuspitzen.
„Neil!“, rief Kieran mir zu.
Ich zögerte. Ich wusste ja noch nicht einmal worum es ging. Und im allgemeinen möchte ich eigentlich immer wenigstens wissen, warum ich mich prügele – und dass es zu einer Prügelei kommen würde, das war mir sofort klar. Es lag in der Luft. Ich fluchte still in mich hinein. Warum ausgerechnet musste immer ich in solche Situationen geraten. Ich konnte in meiner Lage nun wahrlich kein Aufsehen gebrauchen. Aber ich
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