Das hätt' ich vorher wissen müssen
nicht mehr gewöhnt, wahrscheinlich trittst du immer noch viel zu vorsichtig auf, das bessert sich von allein. Dachte ich. Das ausgeprägte Taktgefühl der Zwillinge belehrte mich eines Besseren. »Mami, du eierst!« Es mußte also etwas geschehen.
Ein Kurort heißt deshalb Kurort, weil man da kuren kann. Das tun die Kurgäste, die hierhergeschickt werden und dann vier Wochen lang inhalieren, Fangopackungen kriegen, massiert werden, schwimmen, saunen, kneip(p)en und ihrer Gesundheit leben. Aus diesem Grunde verfügen Kurorte über Kurmittelhäuser. Wir haben auch eins. Ich kannte es nur von außen, denn ich bin Einheimische, und die kuren – wenn überhaupt – woanders. Genau das sollte ich nach Dr. Jellineks Ansicht tun.
Ich streikte. Drei Wochen Kasernierung hatten mir gereicht, außerdem hatte Rolf seinen Hausarrest satt, er wollte mal wieder persönlich mit seinen Kunden reden, und die Zwillinge meinten, sie müßten sich jetzt doch regelmäßiger in der Schule sehen lassen.
Dr. Jellinek sah das ein. Er verschrieb mir Massagen, Gymnastik und Wassertherapie. Ich bekam einen genauen Stundenplan, wann ich wo in welchem Kostüm zu erscheinen hatte, und von da an stand ich jeden Morgen pünktlich um neun Uhr im Jogginganzug vor dem Gymnastikraum. Anschließend mußte ich im babybadwarmen Schwimmbecken herumkrebsen, zum Schluß wurde ich massiert. Danach war Ruhe verordnet. Wenn ich endlich wieder nach Hause kam, war der Vormittag vorbei. In normalen Zeiten hatte ich den meistens am Schreibtisch verbracht. Ich mußte also umdisponieren. Künftig würde ich mich gleich nach dem Mittagessen in meine Klause zurückziehen. Nicht gerade der beste Zeitpunkt, weil nach neuesten Forschungen gerade dann die Leistungskurve einen Tiefpunkt erreicht, aber auf dem hing ich ohnehin seit Wochen. Noch tiefer konnte es gar nicht mehr gehen.
Als ich die Staubschicht von der Maschine entfernt hatte und mich auf den Schreibtischstuhl setzen wollte, kam das Wie. Ich konnte nämlich nicht sitzen. Jedenfalls nicht lange. Der Metallnagel drückte, und die Schrauben piekten. Das sei Einbildung, behauptete Dr. Jellinek. Die Schrauben könnten gar nicht pieken, und das Druckgefühl lasse mit der Zeit nach.
»Wann?«
»Ein paar Wochen lang werden Sie noch etwas spüren, aber ganz wird es wohl erst verschwinden, wenn wir Ihnen im nächsten Jahr das Alteisen wieder herausholen.«
»So lang kann ich nicht warten.«
»Die deutsche Kultur wird es überleben, wenn Sie mal ein Weilchen pausieren. (Hinterhältiger Schuft! Dabei hatte er mir noch am letzten Tag ein Buch abgeluchst.) Ruhen Sie sich erst mal auf Ihren Lorbeeren aus!«
»Wenn ich das täte, dann trüge ich sie an der falschen Stelle«, sagte ich pampig und knallte den Hörer auf die Gabel.
Ich mußte mir etwas einfallen lassen, wie ich Tisch, Stuhl, hochgelegtes Bein und Schreibmaschine in Einklang bringen konnte. Meine derzeitige Lieblingshaltung erinnerte an die Ruhelage von Teenagern: Halb im Sessel liegend, Kissen im Kreuz und Beine auf dem Couchtisch. So kann man aber nicht schreiben. Ich versuchte es mit Brett auf dem Bauch und darauf die Maschine. Nach zehn Minuten hatte ich Magenschmerzen. Ich probierte es mit handschriftlichen Notizen. Die konnte ich später nicht mehr lesen, außerdem taten mir bald die Finger weh. Seit Jahren schon schreibe ich mit Ausnahme des Einkaufszettels und der Ansichtskarten aus dem Urlaub alles mit der Maschine. Zu längeren handschriftlichen Abhandlungen war ich gar nicht mehr in der Lage.
Schließlich räumten wir mein Zimmer um, so daß ich auf einem Eßzimmerstuhl sitzen und mein lädiertes Bein auf einen mit Kissen gepolsterten Hocker legen konnte. Sehr bequem war es nicht, aber es ging.
Schreiben ist ganz einfach. Man setzt sich nur hin und starrt auf das weiße Blatt Papier, bis sich Blutstropfen auf der Stirn bilden. Als ich diesen Zustand erreicht hatte, gab ich erst mal auf. So hatte das keinen Zweck. Eine halbe Ewigkeit lang hatte ich dieses Manuskript nicht angesehen, hatte den Faden verloren, wußte nicht mehr weiter. Am besten war wohl, das bisher Geschriebene noch einmal von Anfang an zu lesen in der Hoffnung, wieder den Anschluß zu finden.
»Tinchen räkelte sich in der Sonne«, hieß der letzte Satz. Das versuchte ich mir plastisch vorzustellen. Ging nicht, weil es draußen schneite. Überhaupt kann man nicht mitten im Winter das Strandleben an der sommerlichen Riviera beschreiben! Mit dem Buch hatte ich angefangen, als
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