Das halbe Haus: Roman (German Edition)
nicht erst zu Wort kommen ließ er sie. Er wisse alles, sagte er, seine Schwägerin Liesl habe er getroffen, sie habe ihm alles erzählt. Aber er sei ein Realist und nicht nachtragend. Sie solle ihn einlassen, ihr sei vergeben, er müsse sich verstecken. Natürlich wolle er auch seinen Jungen sehen und sich mit seinem Frauchen wieder vertragen, Schwamm drüber. Ein Bad müsse er nehmen, auch Schwamm drüber, das Loch in seinem Bauch müsse dringend gestopft werden, Bratkartoffeln, oh wie himmlisch wäre das.
»Jeden Moment«, sagte sie, »kommt Wolodja heim, und dann gnade dir Gott. Nimm die Beine in die Hand, du, und lauf, so weit du kannst.« Ihr Bauch war noch diskret.
»Gut«, sagte er, den der Krieg auch gelehrt hatte, die Reichweite zwischen einem Wort und einer Tat abzumessen.
»Es gibt bei uns keinen Platz für Menschen von deinem Schlag. Laufe, du«, setzte sie nach.
»Unter einer Bedingung«, sagte er, als könnte er Bedingungen stellen. Hinter ihr schrie das Kind: ab jetzt nur ihr Kind, nicht seins.
»Was?«
»Ich bleibe tot«, sagte er. »Behalte du deinen Iwan, ich bleibe tot und gehe zum Ami. Später dann wird sich Liesl von Viktor scheiden lassen, also von mir.« Liesl und Horst: Sie hatten Polina durchschaut und längst alles besprochen. Unsichtbar und durchschaubar, das sind zwei verschiedene Paar Schuh.
Während Polina Güte walten ließ und Liesl nicht vor die Tür setzte, ging ein Toter über die Elbe und fing ein neues Leben an, in Lindau am Bodensee. Bald war Liesl mehr als eine Schwägerin, aber dafür gab es kein Wort.
Muss es denn immer und für alles ein Wort geben. Und wieso muss die Liebe gelingen, sie muss doch nur da sein. Sie muss sich zur Wehr setzen, das wohl, siegen muss sie nicht.
20. Konkret
Leipzig, 13.03.1983
Beginn: 02.00/04.00 Uhr
Ende: 03.40/06.10
2 Exempl./2. Ausfertigung
jac
Vernehmungsprotokoll
des Beschuldigten
FRIEDRICH, Frank
Geb. am 17.06.1946 in Guben
Beruf: Ingenieur
zuletzt: ohne Beschäftigung
wh.: 7030 Leipzig, Regenstr. 27
Mitteilung: Sie werden beschuldigt, diskriminierende Schriften verbreitet zu haben.
Sie werden über Ihre Rechte als Beschuldigter gemäß §§ 61 und 91 StPo belehrt. Ihnen wird weiter mitgeteilt, daß von dieser Beschuldigtenvernehmung eine zusätzliche Schellaufzeichnung angefertigt wird.
Frage: Sie erhalten Gelegenheit, sich dazu zusammenhängend zu äußern!
Antwort: Ich halte den Inhalt der Schriften, die ich gemeinsam mit meinem Freund PFEIFFER, Rüdiger entwarf, herstellte und im Stadtgebiet von Leipzig angeklebt und ausgelegt habe, nicht für diskriminierend, sondern für unsere Meinung zur Friedensinitiative. Diese Meinung wollten wir durch die Verbreitung der Schriften anderen Personen bekanntmachen. Daß ich mich entschloß, in dieser Art und Weise aktiv zu werden, resultiert aus meiner die Verhältnisse in der DDR zumindest in Teilbereichen ablehnenden Haltung und der Nichtgenehmigung meiner Ausreise in die BRD. Was wir gemacht haben, ist ja den Sicherheitsorganen durch unsere Festnahme bekannt.
Frage: Welche weiteren Personen waren an der Verbreitung diskriminierender Schriften beteiligt?
Antwort: Außer dem PFEIFFER, Rüdiger und mir war an dieser Aktion niemand beteiligt.
Frage: Wie kam die Vereinbarung der Vorbereitung diskriminierender Schriften zwischen Ihnen und anderen Personen zustande?
Antwort: Es bestand lediglich eine Vereinbarung zwischen PFEIFFER, Rüdiger und mir, „Handzettel“ herzustellen. Diese Vereinbarung kam im Verlaufe eines mir nicht mehr genau erinnerlichen Gespräches zwischen uns am Montag, dem 07.03.1983, möglicherweise in der Volksschwimmhalle in der Arno-Nitzsche-Straße, zustande.
Frage: Wann und unter welchen Umständen wurden diskriminierende Schriften durch Sie hergestellt?
Antwort: Entsprechend der Vereinbarung vom 07.03.1983 hatte ich mir Stempeltypen aus dem Stempelkasten meines 13jährigen Sohnes einschließlich des dazugehörigen Stempelkissens genommen. PFEIFFER, Rüdiger und ich hatten jeweils schwarze Stempelfarbe gekauft. PFEIFFER hatte ein Paket weißes Schreibpapier gekauft. Diese Materialien brachten wir in meine Wohnung. Am Dienstag oder Mittwoch Vormittag sprachen wir über den Inhalt des Textes, der auf die Zettel gestempelt werden sollte. Entsprechend unserer Vereinbarung zum Inhalt des Textes entwarf ich diesen handschriftlich nach unseren gemeinsamen Vorstellungen. Der Text lautete: „Frieden schaffen – Reisen
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