Das halbe Haus: Roman (German Edition)
brachte.
Als sie am Tisch saßen, plauderte der Vater in einem fort. »Morgen geht’s für Jakob um die Wurst«, sagte er. »Da kommen die von der KJS und suchen sich die Besten raus. So wie ich meinen Sohnemann kenne, wird er zu den Besten gehören.« Der Vater klopfte ihm auf den Rücken, und er nahm seinen Finger ein bisschen in den Mund und verdrehte die Augen ein bisschen.
»Schön«, sagte die Lady, und ihre Tochter sagte im selben Tonfall: »Sehr schön.«
Als der Ober nach den Getränken fragte, bestellte die Lady ein Mineralwasser mit möglichst einer Scheibe Zitrone, einen wirklich trockenen Weißwein, und wenn es nicht zu viel Mühe mache, eine Serviette zu bringen, aus Stoff oder notfalls aus Papier, dann wäre das ganz hinreißend und dankenswert. Der Vater bestellte »dasselbe«, er eine Club-Cola und das Mädchen ein Glas Milch.
Während sie auf die Getränke warteten, sagte das Mädchen: »Es muss das Gleiche heißen, nicht dasselbe .« Ihr Haar war gewachsen, sie trug Ohrringe.
Nachdem der Ober den Wein entkorkt hatte, fragte er, wer ihn probieren wolle, den Müller-Thurgau von der Unstrut. Die Lady sagte: »Der Herr«, und der Vater schob dem Ober sein Glas entgegen, der es zu einem Achtel füllte, einen Arm auf dem Rücken.
Der Vater nahm das Glas, hielt es ins Licht, kippte und schwenkte es, schnüffelte daran, schwenkte und schnüffelte und kostete schließlich mit lautem Schlürfen. Er kaute und aß den Wein und setzte plötzlich das Glas krachend ab. Seine Augen wurden groß und größer, seine Halsschlagader schwoll, sein Kopf wurde rot und roter, und seine Hände krallten sich ins Tischtuch, in die dankenswerterweise gebrachte Stoffserviette. Ein Beben ging durch seinen Körper, er sprang auf, Glas und Stuhl stürzten um, und im Krampf knickte sein Körper. Die anderen Gäste hatten sich ihnen zugewandt, Gabeln und Gläser schwebten vor ihren Mündern. Der Vater stöhnte und ächzte.
Nur unter Schmerzen gelang es ihm, seinen Stuhl wieder hinzustellen. Entkräftet nahm er Platz, strich seine Locken aus dem Gesicht und richtete sein Glas mit zittriger Hand auf. Dann streckte er den Oberkörper und sagte so gelangweilt wie möglich: »Den nehmen wir.«
Während ihn die Gäste und der Ober fassungslos ansahen, brach die Lady in Gelächter aus. Sie lachte dreckig und laut, gar nicht ladylike.
»Ja, der ist gut«, sagte der Vater, »den nehmen wir.«
Auch das Essen war gut. Es gab Sauerbraten und zum Nachtisch Windbeutel.
In der Nacht war dann das Mädchen, war Leo in sein Zimmer gekommen und hatte gefragt, ob sie sich auf den Fußboden vor seinem Bett legen dürfe. Unten auf der Wohnzimmercouch könne sie nicht einschlafen. Das Licht der Laterne sei so furchtbar, und dauernd würden Autos vorbeifahren. Er hatte gesagt, dass sie sein Bett haben könne und er sich stattdessen auf den Boden legen würde, aber das hatte sie abgelehnt. Morgen sei mal wieder Krieg, da müsse er ausgeruht sein und deshalb in seinem Bett bleiben.
Am Morgen war er leise aufgestanden. Sie schlief, gekrümmt wie eine Garnele, einen Daumen im Mund. Offenbar schlief sie immer so. Der Kater hatte sich in ihre Bauchhöhle geschmiegt und blinzelte ihm nach. Seit der Brautschau im Mai war sein Ohr gezinkt. Theo und Leo, dachte er.
Am Bahnhof stieg er in die Bahn, die in den Stadtwesten fuhr. Niemand fuhr mit ihm. Vorm großen Stadion parkten Autos, aus denen Mädchen, Jungen, Frauen und Männer kletterten. Die Linden wollten endlich blühen. René Kupfer schloss sein blinkendes Fahrrad an ein Gitter und schritt durchs hintere Tor, als sei es aus Gold. Er ging hinterher, durch ein Tor aus Stahl.
Der Trainer begrüßte ihn mit einem Handschlag und schickte ihn zu seinen Kameraden. Die rote Asche war locker und feucht wie Kaffeesatz. In knisternden Trainingsanzügen liefen sie sich warm, immer die anderen Jungs in den anderen Farben im Blick. Zu fünft machten sie Fersenlauf, Armkreisen, Wechselsprünge. Für Hürdensitz und Kerze war es noch zu feucht, sowohl auf dem Rasen als auch auf der Bahn. Nachdem sie Steigerungsläufe absolviert hatten, rief sie der Trainer in die Kabine.
»Hört mir zu, Männer«, sagte der Trainer und sah jeden lang und grau an: Smoktun, Kößling, Triebe, Krüger und Jakob Friedrich. »Fünf Jahre habe ich euch jetzt. Damals habe ich mir hundert Jungs angeschaut, die Besten aus allen Schulen im Süden. Von den hundert habe ich ein gutes Dutzend genommen. Bei vielen habe ich was gesehen. Du,
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