Das Halsband des Leoparden
vertraulich: »Wissen Sie, als ich aus Russland weg bin, habe ich keinen Blick zurückgeworfen. Und ich war seitdem kein einziges Mal dort. Ich habe immer geglaubt: Wo du deine Arbeit machst, da ist deine Heimat. Aber in letzter Zeit ertappe ich mich bei einem seltsamen Gefühl.« Er senkte die Stimme, als wollte er etwas nicht ganz Schickliches gestehen. »Um Russland tut es mir leid. Und ich fühle mich irgendwie schuldig. Ich werde wohl alt. Und sentimental. Sie und ich, starke und glückhafte Männer, haben es verlassen. Und es geht uns prächtig. Und was aus Russland wird, ist egal.«
»Na, wir wollen die eigene Bedeutung mal nicht ü-übertreiben«, antwortete Fandorin ein wenig gereizt, denn das »seltsame Gefühl«, von dem der Colonel gesprochen hatte, war ihm nicht ganz fremd. »Russland hat den Mongolen Batu Chan überlebt und auch die Zeit der Wirren. Ohne uns beide. Russland ist eine D-Dame mit Charakter.«
Aber Colonel Star hatte ihm wohl nicht zugehört. Seine unbeständige Stimmung machte einen weiteren Zickzacksprung. Er blickte Fandorin über die Schulter an und kniff pfiffig die Augen ein, als sei ihm eine überraschende Idee gekommen.
»Apropos Dame mit Charakter«, flüsterte er. »Sehen Sie sich doch mal die rothaarige Schönheit dort an.«
Gegenüber dem Tor der Villa befand sich das Hotel Majestic, ein imposantes dreigeschossiges Gebäude von Pariser Architektur. Vor der Glastür stand eine abgenutzte, doch haltbar gearbeitete Kutsche, vor die zwei herrliche feuerrote Pferdchen gespannt waren. Daneben erging sich eine junge Dame in einem Straßenkleid nebst Hütchen, unter dem üppige Locken der gleichen feurigen Farbe hervorquollen. Sie rief den Hotelboys, die zahlreiche Bündel und Körbe in der Kutsche verstauten, Befehle zu und musterte dabei neugierig die Equipage des Colonels. Dann trat sie näher, berührte mit der Hand den blitzblanken Wagenschlag und schüttelte staunend den Kopf. Den Colonel und Fandorin, die im Schatten des Tors standen, sah sie nicht.
»Das passt ja bestens«, sagte der Colonel leise. »Das ist Miss Ashlean, die Tochter des alten Cork Callaghan, dem das Dream Valley gehört. Sie war wohl in Crooktown einkaufen und will jetzt zurück auf die Ranch. Vielleicht nehmen Sie die Dame mit? Warum soll sie sich in ihrer Karre durchrütteln und einstauben lassen?« Der Colonel zwinkerte. »Bei der Gelegenheit könnten Sie gleich den Kauf des Tals zur Sprache bringen. Es heißt, der Papa vergöttere seine Tochter. Na?«
»Ich bin doch nicht engagiert, um geschäftliche V-Verhandlungen zu führen«, antwortete Fandorin verdrießlich und versuchte zu erkennen, ob das Fräulein hübsch sei. Doch sie war zu weit weg und stand nicht einen Moment still.
»Das ist kein Auftrag, sondern eine Bitte«, sagte der Colonel gefühlvoll. »Wenn der Ire mir das Tal verkaufen würde, könnte ich dort Ordnung schaffen – mit dem Recht des Eigentümers. Es geht mir doch nicht um mich, sondern um die Landsleute.«
Endlich drehte das Fräulein ihnen das Gesicht zu. Sie hockte sich hin und rüttelte mit beiden Händen am Rad, um die Federung zu testen.
Masa, der Schönheit zu schätzen wusste, starrte sie unverwandt an. Also musste sie sehr hübsch sein.
»Gut, um der Landsleute willen«, versetzte Fandorin. »Aber wird Miss Callaghan bereit sein, zu einem fremden Mann in die Kutsche zu steigen?«
Die Perle der Prärie
Die Aufgabe war nicht einfach. Wie sollte man eine Dame ansprechen, ohne ihr vorgestellt zu sein?
Colonel Star entzog sich dieser heiklen Mission, indem er sich auf seine komplizierten Beziehungen zu Callaghan senior berief. Hastig wünschte er Fandorin Erfolg bei seiner edlen Aufgabe und zog sich ins Tor zurück.
Fandorin stand allein da. Er dachte: Wär doch toll, wenn Miss Callaghan etwas herunterfiele. Er würde es aufheben und sie ihm danken. Ein Wort würde das andere geben – und die Bekanntschaft wäre gemacht.
Aber Ashlean Callaghan hatte leider nicht vor, Fandorin seine Aufgabe zu erleichtern. Nach ihren sicheren, geschickten Bewegungen zu urteilen, ließ sie nicht oft etwas fallen.
Sie berührte mit dem Finger den bronzenen Löwenkopf an der Radnabe. Dann richtete sie sich auf und ging hinten um die Kutsche herum. Hier interessierte sie sich für das Gepäckfach. Stellte sich auf die Zehenspitzen. Als das nicht reichte, sprang sie etwas hoch.
Die jungen Ladys in Boston und New York und erst recht in Europa benahmen sich nicht so unbefangen auf der
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