Das Halsband des Leoparden
Straße. Fandorin überlegte: Und wenn er nun – so weit entfernt von den Herden der Zivilisation – einfach näher trat, den Hut lüpfte und etwas Unverfängliches sagte?
In diesem Moment fingen der Kutscher und Masa an, die Koffer an der Rückwand der Kutsche festzuschnallen. Miss Callaghan starrte neugierig den Japaner an, der so tat, als beachte er sie gar nicht. Dann drehte sie sich plötzlich um, bemerkte den unschlüssigen Fandorin und rief: »Ist das Ihr Chinese? Komisch sieht der aus! Und Sie, Sie fahren in der Kutsche von Colonel Star? Sind Sie mit ihm verwandt?«
Nur eine schöne junge Frau kann sich ein solches Benehmen erlauben, ohne unhöflich oder vulgär zu wirken, dachte Fandorin und trat ein paar Schritte vor.
Erstens lüpfte er den Zylinder. Zweitens stellte er sich vor. Drittens erklärte er, dass Masa kein Chinese, sondern ein Japaner sei. Viertens teilte er mit, dass er nach Splitstone fahre. Fünftens wollte er sagen, dass er ein Geschäftspartner von Mr. Star sei, kam jedoch nicht dazu, denn als die junge Dame von Splitstone hörte, klatschte sie in die Hände.
»Ach, wirklich? Da haben wir ja denselben Weg! Mein Vater hat bei Splitstone eine Ranch, ›Double-CC‹. Haben Sie bestimmt schon mal gehört. Nicht? Unsere Rinder tragen alle das Brandmal ›Zwei Halbmonde‹, das kennt hier jeder. Ich bin Ashlean Callaghan. Da wir denselben Weg haben, kann ich ja vielleicht in Ihrer Equipage mitfahren? Ich habe so viel darüber gehört!« Als derverdutzte Fandorin nicht gleich antwortete, fasste sie nach seiner Hand. »Ach, bitte!«
Fandorin brachte kein Wort heraus. Nicht aus Verlegenheit. Er war einfach perplex über ihre Schönheit.
Wenn jemand eine Fotografie von Miss Callaghan gesehen hätte, würde er sie kaum als Schönheit empfunden haben: etwas breite Backenknochen, der Mund fast afrikanisch dicklippig, dazu die Sommersprossen auf der Nase. Aber ein talentierter Maler, namentlich ein Impressionist, würde gewiss versucht haben, den Glanz dieses Gesichts einzufangen: die gefühlvollen hellgrünen Augen, die weiße Haut, die Ausstrahlung frohen, vollblütigen Lebens und natürlich die Aureole der ungebändigten roten Haare, die in der Sonne förmlich aufloderten. Ashlean war fast so hochgewachsen wie Fandorin, und die Finger, die sein Handgelenk pressten, konnten wohl mühelos eine Walnuss knacken.
Fandorin fiel ein Lied ein, das er vor etlichen Jahren in einem Pariser Tingeltangel gehört hatte. Es hieß »Die Perle der Prärie« und handelte von einem kühnen Bisonjäger, den eine rothäutige Herzensbrecherin zugrunde richtet.
Seh ich dich etwa niemals wieder?
Wie trag ich nur diesen Verlust?
Die rote Perle der Prärie
Schoss mir den Pfeil in meine Brust.
Er erinnerte sich, das Liedchen als dumm und kitschig empfunden zu haben, denn Perlen sind nicht rot, und sie finden sich bekanntlich auf dem Meeresgrund und nicht in den Prärien. Aber die Bekanntschaft mit Ashlean Callaghan zwang Fandorin, sein Urteil zu revidieren.
»Ich wollte Sie schon selber darum bitten«, sagte er mit einer Verbeugung. »Es wird mir eine Ehre und ein V-Vergnügen sein.«
Die junge Dame juchzte auf vor Freude.
»Wirklich, darf ich? He, Boy!« Sie winkte dem Kutscher. »Mach meine Pferdchen hinten fest. Sie sind friedlich, laufen hinterher … Na los, Mr. Fendorin, geben Sie mir Ihren Arm!«
Sie stützte sich nur zum Schein auf Fandorins Ellbogen, denn sie hätte die Stufe auch ohne männliche Hilfe ersteigen können. Dabei dehnte sie die Berührung (ebenfalls ohne Notwendigkeit) ein wenig aus und drückte leicht Fandorins Unterarm, als wollte sie die Festigkeit der Muskeln prüfen. Als sie das Bein hob, rutschte der Rocksaum so hoch, dass Fandorin die Augen übergingen. Sie schenkte ihm ein engelhaftes Lächeln.
Erst nach all diesen virtuos ausgeführten Manövern flatterte sie federleicht durch die offene Tür.
Direkt vor Fandorins Nase schaukelte ihr wirkungsvoll von grüner Seide umspanntes rundes Hinterteil, und schon aus dem Innern der Kutsche tönte ein begeisterter Schrei: »Wow! Eine Diele mit Spiegel!«
Fandorin stieg in die Kutsche.
Tatsächlich, gleich hinter dem Tritt lag ein mit Moiré ausgeschlagenes Kämmerchen mit einem großen Spiegel, in dem der Detektiv sein leicht gerötetes Gesicht sehen konnte. Fandorin korrigierte die rechte Schnurrbarthälfte, die von der Symmetrie etwas abwich, und hörte ihre jauchzende Stimme: »Ein Bett! Und so was von weich!«
Das kann nicht sein,
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