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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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Hotel seine Schmachtfetzen zum besten gegeben hatte, ein Kerl mit einem fast bis zum Bauchnabel offenen Hawaiihemd, und in der Dunkelheit dahinter zwischen den Bäumen eine Schar heimlicher Zuhörer, das Geklecker von Einschußlöchern an den Zimmertüren der ganzen Etage, auf der außer ihnen sonst niemand wohnte, die nur notdürftig furnierten Garben, die ihre eigene Geschichte hatten, und wie sie dann stundenlang wach geblieben und, ohne etwas zu sagen, nebeneinander auf dem Bett gelegen waren. Angeblich ging das Fenster hinaus auf die Donau, wo sie aus den Büschen auf dem gegenüberliegenden Ufer die Sonne auftauchen und ein paar Augenblicke lang blutrot über dem Dunst schweben sahen, als würde sie unter ihrem Gewicht nicht richtig hochkommen, ein zitternder Stillstand, den ich seither immer mit ihnen in Verbindung bringe, obwohl sie ein paar Stunden danach schon wieder unterwegs waren und den Ort hinter sich ließen, von dem nicht nur Allmayer voll Pathos geschrieben hatte, daß ein Menschenleben dort weniger wert war als ein paar alte Mauern in Dubrovnik und man im Niemandsland krepieren konnte, ohne daß ein Hahn danach krähte, während es zu einem Aufschrei kam und alle vom Weltkulturerbe und von der Perle der Adria sprachen, sobald die ersten Granaten auf dem ohne den abendlichen Corso wie leergefegten Stradun einschlugen.
    Auch wenn Paul die ganze Reise großspurig so deklariert hatte, von Recherchieren habe keine Rede sein können, erzählte mir Helena kurz nach ihrer Rückkehr bei unserem ersten Wiedersehen. So, wie er durch die ehemaligen Kriegsgebiete fuhr, hier einmal anhielt oder dort und sie bat, einem Passanten ein paar Fragen zu stellen, es aber sofort aufgab, wenn der nur abwinkte, er könne nichts dazu sagen, oder anfing, daherzuschwadronieren, habe es etwas Halbherziges und Gehetztes gleichzeitig gehabt, und ich stellte ihn mir vor, wie er das meiste an sie delegierte, unsicher, wonach er eigentlich suchte, und selbst kaum ein Wort sprach, ob er mit seinem Deutsch durchgekommen wäre oder nicht. Dann schien es ihr manchmal, als ob ihn alles gar nicht wirklich interessierte und er sich nur Ziele setzte, um immer weiterzukönnen, geradeso, als liefe er vor etwas davon, oder es wäre nur seine eigene Befindlichkeit, die den Ablauf bestimmte.
    Zwar seien sie nach Hvar übergesetzt und hätten Slavkos richtigen Namen herausgefunden, in dem Hotel, für das er gearbeitet hatte, aber als sie sich dann in Slavonski Brod zu ihm durchfragten und er nicht dagewesen war, wollte Paul nicht bis zum nächsten Tag warten und brach sofort wieder auf. Sie hatten sich Vinkovci angesehen, auch das, um vielleicht dort etwas über den damaligen Frontverlauf in der Gegend zu erfahren, und er habe sich an der Kaserne abwimmeln lassen wie ein Schuljunge, sei eingeschüchtert davongeschlichen, als ihm eine Wache sagte, es würde niemand gern sehen, wenn er herumschnüffelte wie ein Spion, und er könnte Probleme bekommen. Das war das übliche Muster, ein Vorstoß und beim kleinsten Widerstand der sofortige Rückzug, und nachdem sie so das halbe Land durchstreift hatten, sei es schließlich in einem Ort im Hinterland von Zadar geschehen, nicht weit vom Dorf ihrer Großmutter, daß er wenigstens für ein paar Augenblicke zur Ruhe kam, so übersichtlich schien dort auf den ersten Blick alles arrangiert zu sein, was im Krieg passiert war.
    Der Ort hieß Islam, mit den beiden Ortsteilen Islam-Grčki und Islam-Latinski, was kaum symbolträchtiger hätte sein können, geradeso, als wäre das Kaff allein damit schon der Schnittpunkt dreier Religionen, und ich weiß von Helena, welchen Aufwand Paul für die zwei Photos getrieben hat, die dann unter dem Titel Dalmatinische Impressionen ohne jeden weiteren Kommentar in der Zeitung erschienen.
    »Er hat viel Zeit darauf verwandt, einen eindeutigen Blickwinkel zu finden«, sagte sie. »Was dabei herausgekommen ist, hätte nicht plakativer sein können.«
    Ich hatte mich selbst schon gewundert über das eine Ortsschild mit lauter wie ein für alle Mal zerstörten Gebäuden im Hintergrund, während das andere vor einer Reihe von Rohbauten stand, die von einem neuen Aufbruch zeugen sollten, und ließ mir von ihr erklären, daß die Trennlinie in Wirklichkeit natürlich nicht annähernd so scharf verlief.
    »Wäre er für seine Aufnahmen nur wenige Schritte beiseite getreten, hätte er die Motive ohne große Schwierigkeiten vertauschen können.«
    Kaum hatte sie das erwähnt,

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