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Das Handwerk des Toetens

Das Handwerk des Toetens

Titel: Das Handwerk des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Gstrein
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in Skradin mit Pauls kaum leserlich hingekritzeltem Kommentar auf der Rückseite Genau dort, wo Seine Majestät steht, war im Krieg ein Granattrichter .
    Ich wunderte mich über die Häufigkeit, in der die Karten eintrafen, und ich wunderte mich auch, daß das der einzige vollständige Satz war bis zu dem Brief, den Paul mir aus Dubrovnik schrieb. Er hatte das Briefpapier des Hotels genommen, und ich wußte sofort, er wollte mir damit zeigen, daß er am richtigen Ort abgestiegen war, im Argentina, das eines der wenigen Häuser im Kriegsgebiet gewesen sein mußte, die ihren Betrieb auch zu der Zeit so normal wie nur möglich aufrechterhalten hatten, als die Stadt wochenlang beschossen worden war. Ich erinnerte mich daran, wie er eigens darauf hinwies, Allmayer habe in einem seiner Artikel einen Aufenthalt dort erwähnt, und war mir sicher, er spielte mit der Vorstellung, vielleicht sogar das gleiche Zimmer zu haben, den gleichen Blick hinaus auf das Meer, und erwartete sich von mir, daß ich ihn darum beneidete.
    Angeblich schlief Helena schon, und er hatte sich noch hingesetzt, um mir zu schreiben, das Fenster offen auf den Nachthimmel, über den immer wieder ein Wetterleuchten huschte. Er begann damit, daß er Stimmen hörte, von dem Platz drunten beim Schwimmbad, manchmal sogar glaubte, das Klimpern der Segel würde zu ihm heraufdringen im Wind, von dem dafür eigentlich viel zu weit entfernten Jachthafen, und danach war es wieder still, und ich stellte mir vor, wie er lauschte, ob sie sich im Bett regte, und von Zeit zu Zeit hinaustrat auf den Balkon und auf die Lichter der Stadt hinunterschaute. Wie er das beschrieb, erinnerte es mich an sein Schwärmen von dem Pariser Hotelzimmer, in dem er mit ihr eine Nacht verbracht hatte, und als er dann auch noch den Regen erwähnte, war es wieder diese Mischung aus Ausgesetztsein und Geborgenheit, an der er sich berauschte, das Gefühl, sie beschützen zu müssen, nackt, wie sie unter ihrem Laken lag, obwohl er sich selbst nur in ihrer Anwesenheit sicher glaubte. Ich wunderte mich über seinen Mitteilungsdrang, wußte nicht, was ich damit anfangen sollte, daß er eigens ihre über einen Stuhl gelegte Unterwäsche hervorhob, auf dem Boden das Buch, in dem sie gerade noch gelesen hatte, ihren ausgestreckten Arm, der abgedeckt war, und über das Kissen gebreitet ihr Haar, wenn ihm das nicht nur dazu diente, sich daran festzuhalten, eine Welt zu errichten gegen die Finsternis draußen, die Leere, den Sog, der von ihr auszugehen schien. Er hätte sich zu ihr legen können und saß statt dessen da und füllte Zeile um Zeile mit seiner Handschrift, und als er später in die Bar hinunterging, muß er richtig aufgeregt gewesen sein, dort auf einen Kellner zu treffen, der schon während des Krieges hinter der Theke gestanden war und ihm jetzt Geschichten erzählte, wie sich die internationalen Beobachter in ihren lächerlichen weißen Uniformen manchmal auf der meerseitigen Terrasse versammelt hatten, um, im toten Winkel geschützt, das Schauspiel zu verfolgen, wenn sich von dem Hang in ihrem Rücken, in der Dunkelheit orange leuchtend, ganze Fontänen von Granaten über die Dächer der Altstadt auf den Hafen ergossen hatten, oder sich nur das irre Konzert anzuhören, mit dem die Dachziegel unter den Schüssen zersplitterten, und eilig in die hinteren Räume zurückzuweichen, sobald sich irgendwo auf dem Meer ein Kanonenboot zeigte, ein Hotelangestellter auftauchte und sie mit dem Satz They are shooting, gentlemen, they are shooting verscheuchte.
    So, wie Paul davon gesprochen hatte, war es klar, daß er Vukovar nicht auslassen konnte, aber ich versuche mir nach wie vor vergeblich ein Bild davon zu machen, wie er mit Helena bei Einbruch der Nacht in die zerstörte Stadt gekommen war und sie am darauffolgenden Morgen gleich wieder verlassen hatte. Ich weiß nicht, warum der plötzliche Aufbruch, ob sie sofort weg wollte, als sie die zusammengeschossenen Gebäude bei Tag erblickte, die porös zerfressenen Wände, die ihr am Abend vielleicht noch nicht so gespenstisch erschienen waren, oder ob sie da schon auf ihn eingeredet hatte, angesichts der verlassenen Straßen, in denen kaum irgendwo ein Licht brannte und die Verkehrsampeln, von Schüssen zerdellt, nach all den Jahren noch immer nicht in Betrieb waren. Es sind Bruchstücke aus seinen späteren Erzählungen, an die ich mich erinnere, geradezu surreal anmutende Splitter, der Sänger, der nur für sie beide auf der Terrasse vor dem

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